Kultur

Geplatzte Kragen

von Vera Rosigkeit · 27. Juni 2008

von Andrea Nahles

Dies unterstreicht Heiko Schulze in seinem historischen Roman "Geplatzte Kragen". In der Rahmenhandlung der Jetztzeit begegnet uns die junge Protagonistin Rosa Grüner, die durch Zufall auf die historischen Ereignisse von 1801 in ihrer Heimatstadt aufmerksam wird und sich immer weiter in das Thema vertieft.

Geplatzte Kragen - der Titel ist Programm. Auslöser für den Gesellenaufstand ist zunächst die Weigerung eines Schumachergesellen zur Gesellenversammlung den obersten Hemdkragen geschlossen zu tragen. Im Laufe der Handlung wird klar: Dies ist nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Die Obrigkeit in Gestalt der Gildemeister und des Magistrats reagiert in autoritärer Weise und facht somit die Wut der Gesellen über die offenkundigen Missstände weiter an.

Nun geht es nicht mehr länger um den Knopf- der Kragen ist den Gesellen geplatzt und sie begehren auf. Billigkonkurrenz, nicht transparenter Zugang zum Meistertitel, stagnierende Löhne - damit wollen sie sich nicht länger abfinden. Die politische Diskussion zieht immer weitere Kreise, die Französische Revolution dient Vielen als Vorbild - genau davor hat die Obrigkeit Angst. Als einzige Antwort fällt ihr die gewaltsame Lösung ein. In einem schrecklichen Gemetzel finden am 13. Juli 1801 zehn Gesellen den Tod.

Personalisiert wird diese stetige Eskalation der Auseinandersetzung zwischen Gesellen und Obrigkeit durch den Schumachergesellen Jakob. Er - zunächst politisch uninteressiert bis träge, im Privaten scheinbar glücklich verliebt in die Handwerkswitwe Elisabeth - entwickelt im Laufe der Geschichte eine immer stärker werdende Leidenschaft für die Sache der Gesellen. Dabei geht er so weit, dass er seine Geliebte zu Gunsten seines politischen Engagements verlässt.

Rosa, die prekär beschäftigte Historikerin der Rahmenhandlung, wird inspiriert durch die historischen Ereignisse selber zur engagierten Kämpferin für Arbeitnehmerrechte.

Wie aktuell die damaligen Forderungen der Gesellen auch in unserer heutigen Zeit noch sind arbeitet Heiko Schulze spannend und anschaulich heraus. Geschickt integriert er Zitate der jetzigen Diskussion in die historische Handlung - wer denkt bei dem Ausspruch eines Gesellen zum Bürgermeistergehalt: "Ist der edle Herr Stüve (der Bürgermeister) siebzehn mal mehr wert als ein Maurergeselle?" nicht automatisch an Franz Münteferings mitreißende Rede auf dem Hamburger SPD-Parteitag?

Die große Stärke der Romans ist die Anschaulichkeit. Osnabrück 1801 - der Leser kann sich dank der rasch voranschreitenden Handlung und lebendiger Dialoge bestens in die Situation der Gesellen hineinversetzen.

Weniger gelungen ist die Figurenzeichnung. Sowohl Rosa als auch Jakob bleiben Exempel, Beispiele eines Typs ihrer jeweiligen Zeit, sie schaffen es nicht wirklich, lebendige, glaubhafte Figuren zu werden. Die psychologische Entwicklung der Figuren kommt zu kurz, allzu plötzlich wandelt sich der tumbe Jakob in den leidenschaftlichen Freiheitskämpfer und ebenso überraschend wird aus der belesenen Historikerin eine Vorzeige-Gewerkschafterin.

Entsprechend gering ist dann auch der Identifikationsgrad. Das liegt auch an der Herangehensweise des Autors, physiognomische Kennzeichen mit Charaktereigenschaften gleichzusetzen.

So sind die "blauen Augen Rosas" klar als Gegenstück zur rothaarigen, grünäugigen, spitznasigen Elisabeth konzipiert. Auch die zwei Männer in Rosas Leben, ihr Exfreund Berthold und ihr Verehrer Fausto werden etwas zu statisch gezeichnet.

Berthold trägt einen Kaschmirpulli, hat ein BWL-Studium absolviert, ist ein übeler Jungmanager, der einem radikalen Neoliberalismus anhängt. Fausto hingegen hat sein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gemacht und verdingt sich als studierter Politologe nun als Autor schlecht bezahlter Honorarartikel. Klar, dass er letztendlich den Weg ins Rosas Herz findet, zuvor nimmt sie aber noch einen Schluck aus ihrer "verblichenen Che Guevara-Tasse". Die Charaktere, im Kern interessant konzipiert, verlieren dadurch an Glaubwürdigkeit.

Dennoch: Alles in allem ist das Buch durchaus lesenswert - eine sowohl lehrreiche als auch kurzweilige Lektüre mit zahlreichen aktuellen politischen Bezügen.

Schulze, Heiko: Geplatzte Kragen. Roman über den Aufstand der Osnabrücker Handwerksgesellen im Juli 1801. Vechta-Langförden, Geest-Verlag 2007. 290 S. ISBN 978-3-86685-086-6, 10 Euro

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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