Wer bin ich? Die Suche nach der eigenen Identität bestimmt das Erwachsenwerden. Was für Einheimische schwierig genug ist, wird für Jugendliche aus Einwandererfamilien noch verschärft: Sie
erleben zugleich zwei - zumeist sehr unterschiedliche - Kulturen. Müssen sie sich entscheiden, welcher von beiden sie angehören? Mit welchen Vorurteilen sehen sie sich konfrontiert? Wo liegen
Probleme? Und was macht kulturelle Identität aus?
Zwei kulturelle Hintergründe
Drei Frauen mit Migrationshintergrund gaben den Diskussionsanstoß: Die Autorin und Journalistin Yadé Kara las aus ihrem Roman "Selam Berlin". Sie beschreibt eine Identitätsfindung zwischen
Berlin und Istanbul. Die Journalistin Mely Kiyak stellte "Zweiheimisch. Bikulturell leben in Deutschland" vor. Das von ihr mitverfasste Buch porträtiert zwölf junge Erwachsene, die mit zwei
kulturellen Hintergründen leben. Und Betül Yilmaz präsentierte die offene Diskussionsplattform www.muslimische-stimmen.de - ein Portal, das es Migranten/-innen ermöglicht selbst Themen zu setzen.
Die Berliner Schülerinnen und Schüler nahmen das Angebot der FES an: Es entwickelte sich eine rege Debatte. Die zahlreichen, spannenden Wortmeldungen bewiesen, dass Jugendliche mit
Migrationshintergrund sich vielfach wohl als Berliner, nicht aber als Teil der deutschen Gesellschaft begreifen.
Fehlende Identifikationsfiguren
Die jungen Erwachsenen vereinen zwei Kulturen in sich - das sei ein unschätzbarer Reichtum, unterstrich Yadé Kara. Allerdings sei es nicht immer einfach diese Vielfalt zu leben - das
verdeutlichten die Schüler. Denn während sie in Deutschland oft als "Ausländer" bezeichnet werden, rufe man ihnen etwa in der Türkei bisweilen abfällig "Deutschländer" hinterher. So sind sie weder
im Heimatland ihrer Eltern, noch in dem Land, in welchem sie leben ein vollwertiger Teil der Gesellschaft.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass es in der deutschen Öffentlichkeit nahezu keine Identifikationsfiguren für diese Jugendlichen gibt. Denn obwohl in Berlin 184 Nationalitäten miteinander
leben, sind Migranten/-innen im öffentlichen Leben kaum repräsentiert. Dabei besteht großer Bedarf an positiven Vorbildern. Sie könnten einen Weg weisen, zeigen, dass Immigranten tatsächlich Teil
der Gesellschaft sind. Und sie könnten die viel beschworene Chancengleichheit fördern und spürbar machen.
Im Sprachchaos
Auch das Thema Sprache wurde beleuchtet. Die heutigen Immigrantenkinder haben - im Gegensatz zu Yadé Kara oder Mely Kiyak, die an ihren Schulen jeweils zur kleinen Migranten-Minderheit
zählten - in einigen Berliner Bezirken kaum deutsche Mitschüler. Entsprechend schwerer fällt das Erlernen der Sprache. So spreche etwa in Berlin-Neukölln jeder Schüler ein türkisch-deutsches
Kauderwelsch, wurde berichtet. Bisweilen würde man für allzu korrektes Deutsch als eine Art Verräter angeprangert, erzählte eine Jugendliche.
Toleranz und Respekt
Voraussetzung für ein gutes Zusammenleben - da waren die Schüler einig - sei Toleranz. "Man sollte vor jedem Menschen als Mensch Respekt haben", formulierte eine Schülerin - egal woher er
komme, oder welcher Religion er angehöre. Das Miteinander der Kulturen, wie es in Schulen stattfinde, ermögliche und fördere eine offene Gesellschaft, unterstrich einer der Jugendlichen.
Soviel Respekt wäre auch von Seiten der Autorin Yadé Kara wünschenswert gewesen. Lebenserfahrung und eine starke eigene Meinung sind ihr nicht abzusprechen - den Jugendlichen aber vorschnell
ins Wort zu fallen, und Argumente für irrelevant zu erklären war ein eher trauriger Beitrag zur offenen, ansonsten von großer Toleranz geprägten, Gesprächsrunde.
Die Jugendlichen behielten selbst bei Konfliktpunkten wie dem Endlosthema Kopftuch ihre tolerante Haltung. Daran und an gegenseitigem Respekt mangelte es nicht. Die Basis für eine offene,
multikulturelle Gesellschaft ist da. Allerdings bedarf es noch viel Arbeit um die Jugendlichen mit Migrationshintergrund wirklich zu einem Teil der Gesellschaft zu machen. Denn noch sind die
Chancen keineswegs gleich verteilt.
Birgit Güll
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