Der 1944 geborene Friedrich Schorlemmer war in der DDR Pfarrer und gehörte der Bürgerbewegung an, welche die friedliche Revolution von 1989 initiierte. Heute ist der Theologe Mitherausgeber
der Wochenzeitung "Freitag" und der "Blätter für deutsche und internationale Politik". Als Publizist trat er mit Büchern wie "Lass es gut sein. Ermutigung zu einem gelingenden Leben", "In der
Freiheit bestehen" oder "Woran dein Herz hängt" hervor., In allem, was er schreibt, sucht er Verbindendes. Das zeichnet ihn aus
Kein Wunder, dass er in seinem jüngsten Buch den Begriff der "Heimat" thematisiert, dem schließlich auch bei politischer Gegensätzlichkeit Verbindendes innewohnt. Allerdings, gilt das auch,
wenn dieser Begriff - wie hier nahe gelegt - selbst politische Aspekte beinhaltet?
Heimat ist all das, aus dem wir hervorgegangen, dem wir zugehörig sind. So definiert Friedrich Schorlemmer. Es überzeugt, wenn er sagt, dass der Mensch ohne diese Wurzeln haltlos ist. Alle
brauchen den Grund, auf dem sie stehen Alle müssen sich ständig zu dessen Wandlungen positionieren, wollen sie Halt bewahren. Aber was aus demselben hervorgegangen ist, weiß darum, versteht
manches - auch dann, wenn die Positionierung unterschiedlich erfolgte.
Gegenposition und doch zugehörig
Als einziger Nicht-Pionier und Nicht-FDJler musste Schorlemmer stets Kraft und Selbstbewusstsein in sich selbst finden, sein Einzelgängertum zu begründen. In seinem Elternhaus wurde nichts
von dem verschwiegen, was auch das Kriegsende an Schrecken in sich barg. Gleichwohl mag er es nicht, wenn heute Schwarz-Weiß gemalt wird. Als wäre es nicht möglich gewesen, auch ohne
SED-Zugehörigkeit mit Stipendium und Leistungsstipendium zu studieren, zu promovieren und einen guten Arbeitsplatz zu finden. Er verwahrt sich gegen Geschichtsklitterung, die solches außer Acht
lässt.
Mit sieben Kindern gesegnet war im elterlichen Pfarrhaus der Geldmangel ständiger Gast und jede materielle Hilfe willkommen. Die West-Pakete wurden hier nicht benötigt, weil man ein Extra
wollte, sondern weil das erzielte Einkommen den Haushalt kaum trug. Schorlemmers Stullenpakete waren ärmlicher als die der anderen, aus Bauernfamilien Stammenden, obgleich auch aus dem Dorf
selbst Hilfe kam und in jedem Frühjahr auch die Kinder durch nachmittägliches Rübenverziehen zum Haushaltsaufkommen beitrugen.
Kein Feind im Westen
Wer Freunde und Verwandte im Westen hatte und sich durch eigenes Reisen selbst ein Bild machen konnte, war eventuell wenig anfällig dafür, auf der anderen Seite Feinde zu sehen. Für den
Autor jedenfalls gilt dies. Aber er fühlte sich auch unter den gläubigen Menschen in seiner Heimat aufgehoben.
Der Autor geht bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges zurück, lässt seine Heimat in Chroniken aufleben und in der Literatur Fontanes. Er wünscht sich heutige Zuversicht für seine
kleine Stadt an der Elbe.
Kein Wunschbild des Vergangenen
Der Wunsch nach Differenziertheit im Betrachten des Vergangenen baut auf dem eigenen Erleben des Verwurzeltseins wie des Widerspruchs auf. Schorlemmer berichtet von der staatlichen
Kontrolliersucht, dem Repressiven, von manch einfach Widersinnigem auch wie etwa den Folgen des Subventionssystems für Grundnahrungsmittel. Die uferten bis dahin aus, dass Bauern das billige Brot
kauften und es an ihre Schweine verfütterten, oder dass die geringen Mieteinnahmen die notwenigen Mittel zum Bauerhalt nicht hergaben.
Glasnost und Perestroika, Kirche und Kirchenpolitik und schließlich die friedliche Revolution gegen das Erstarrte, gegen "Stacheldraht und Mauerwerk" - Erinnerungen werden ausgebreitet. Für
den Bürgerrechtler gilt der Begriff der friedlichen Revolution ohne Wenn und Aber. Er hatte aktiven Anteil daran. Er gehörte und gehört nicht zu denen, die resignierten. Sein Nachdenken über
Vergangenes und Heutiges hält an.
In seinen Büchern wendet er Dinge und Betrachtungsweisen hin und her. Grundlage ist ihn dabei sein christlich-evangelisches Weltbild, das ihm Zuversicht bereitet, aber mitunter den Blick
auch einengt. Das zeigt sich an der Auseinandersetzung mit Versen Heinrich Heines aus "Deutschland. Ein Wintermärchen". Heines Forderung, sich nicht auf das Himmelsreich vertrösten zu lassen,
sondern dieses auf Erden einzufordern, will Schorlemmer als dem "propagandistischen, antichristlichen Bildungsgut der kommunistischen Gesellschaft zugehörig" verstanden wissen.
Dorle Gelbhaar
Friedrich Schorlemmer "Wohl dem, der Heimat hat", Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2009, 319 Seiten, 16,95 Euro, ISBN 978-3-351-02679-0
ist freie Autorin, Vorstandsmitglied des Verbands deutscher Schriftsteller im ver.di-Landesverband Berlin sowie stellvertretende Vorsitzende des Kulturwerks Berliner Schriftsteller e. V.