Kultur

Gefühlswelt einer unerlösten Generation

von Die Redaktion · 22. Februar 2007

Obgleich es durchaus komische Stellen gäbe stelle sein Roman kein komisches Buch dar, betonte der Autor zu Beginn seines Grußwortes. Die Intention für seinen Roman ergebe sich aus seiner politischen Biographie. Diese habe mit dem Entsetzen über die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus begonnen. Seine gleichzeitige Liebe zu seinen Großeltern, die ihrerseits Teil dieser Epoche waren, führte zu einem inneren Konflikt, der ihn zum Roman "Heimweg" bewogen habe.

"Heimweg"

Joseph, der Großvater des Ich-Erzählers, kehrt aus russischer Gefangenschaft in seine Heimat am Rhein zurück. Er ist stolz auf seine Leistung, denn immerhin hat er den Krieg überlebt und ist - trotz Lungendurchschuss - topfit verglichen mit anderen Heimkehrern. Doch schon sehr bald muss er feststellen, dass seine Leistung des Nichtsterbens im Frieden keinen Wert hat.

Auch seine Frau Katharina, die schöne Tänzerin, honoriert seine Leistung nicht. Sie hatte Joseph einst wegen seiner Schönheit geliebt. Doch diese Schönheit hat der Krieg gefressen.

Ihr weiteres Eheleben gleicht mehr einem Arrangement denn einer glücklichen Beziehung.

Ein Treiben im Sog des Wirtschaftswunders

Joseph versucht, seinem Leben einen sinnvollen Inhalt zu geben. Er sucht sich Arbeit, entdeckt seine Liebe zu Tieren und zu einem ganz bestimmten Baum vor dem Haus und kämpft um die Liebe seiner Frau. Katharina arbeitet nach wie vor in der Nachtbar "Rheingoldschänke", während ihr Verhältnis zur Wirklichkeit immer vielschichtigere Formen annimmt.

So treiben beide im Strom des Wirtschaftswunders vor sich hin. Um sie herum geht es mit Deutschland wieder bergauf, während Joseph und Katharina versuchen, ihren Weg zwischen Veränderungen, Hoffnungen und dem kleinen Glück zu finden.

Skurrile Gestalten der Vergangenheit

Dies sind die Grundpfeiler, auf denen der Roman "Heimweg" aufgebaut ist. Harald Martenstein ergänzt dieses Fundament gekonnt zu einem großen Ganzen. Er benutzt vornehmlich Rückblicke als Bausteine. Doch nicht nur Vergangenes aus dem Leben der Hauptcharaktere, sondern auch Geschichten ihrer Vorfahren werden erzählt.

So tauchen ein russischer Kommissar, ein Bierbrauer, ein bayerischer Räuber und diverse andere Personen auf. Die eigentliche Geschichte würde sicherlich auch ohne diese Erzählungen auskommen, doch erst die historischen Abschweifungen machen den Roman zu einem Gesamtgebilde.

Balance zwischen Trauer, Melancholie und Komik

Als wichtiges Element zwischen Fundament und Bausteinen wirkt Martensteins Sprache. Trotz langer Satzkonstruktionen und großzügig gesetzter Kommata fühlt man sich dank der wohlüberlegten Wortwahl des Autors sofort in die Gedanken- und Gefühlswelt der jeweiligen Charaktere und Geschichten hineinversetzt. So lassen sich die Ereignisse, die Schicksäle und Emotionen unglaublich gut nachvollziehen. Wie die Charaktere selbst taucht der Leser in eine Parallelwelt ab, in der Trauer, Melancholie und Komik ausgewogen miteinander harmonieren.

Der Reiz des Romans liegt nicht unbedingt in der Geschichte selbst, sondern viel mehr in der Betrachtung des Gesamtgebildes. Es ist das Zusammenspiel der erzählten Familiengeschichte mit der verwendeten Sprache und den damit vermittelten Emotionen und Gedanken, die den Leser in den Bann ziehen. Am Ende bleibt das Gefühl, einen tiefen Einblick in die tragische Gefühlswelt einer unerlösten Generation gewonnen zu haben.

Felix Eisele

Harald Martenstein: Heimweg, C.Bertelsmann, München 2007,

224 Seiten, 18,- €, ISBN 978-3-570-00953-6

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