Kultur

Für 9,3 Millionen Mark die Geschichte neu schreiben

von Dagmar Günther · 10. April 2008

Der damalige "Stern"-Redakteur Michael Seufert war vom Gründer des Magazin, Henri Nannen, damit beauftragt worden, "ohne Ansehen der Person" die ganze Geschichte des Skandals zu recherchieren. Was Seufert und seine Kollegen aufdeckten, war schier unglaublich: Der bis dato anerkannte Kriegsreporter Gerd Heidemann und mehrere Verantwortliche der mittleren Ebene hatten an der Chefredaktion vorbei den Verlag um 9,3 Millionen Mark erleichtert.

Zudem wurden mit ihnen Exklusiv-Verträge ausgehandelt, die sie am weltweiten Geschäft mit den Tagebüchern beteiligt hätten. Ein klarer Interessenkonflikt also.

Gerd Heidemann war nach dem Kauf des ehemaligen Göring-Schiffes "Carin II" hoch verschuldet. Über enge Kontakte mit der Alt-Nazi-Szene und seinen Hang zu Nazi-Devotionalien kam er schließlich in Kontakt mit dem Fälscher Konrad Kujau, der sich allgemein als "Dr. Fischer" bezeichnen ließ. Der erzählte ihm von einem Flugzeugabsturz bei Börnersdorf in Sachsen, bei dem "ganz private Aufzeichnungen" Hitlers verloren gegangen seien.

Heidemann recherchierte den Flugzeugabsturz und erfuhr nun von Herrn "Dr. Fischer", dass dieser über DDR-Kontakte die Kisten aus dem Flugzeug mit den Tagebüchern Hitlers beschaffen könnte. Da das Risiko für seine Leute aus der DDR jedoch ganz erheblich sei, wäre ein Preis von rund 150000 Mark pro Band angemessen, zudem müsse er auf strengste Geheimhaltung bestehen.

Heidemann witterte die ganz große Chance, seinen "Watergate-Skandal". Ein Skandal wurde es dann tatsächlich. Heidemann recherchierte weder den Herrn Dr. Fischer, der unter diesem Namen bereits bei der Polizei als der Fälscher Kujau bekannt war, noch nahm er Anstoß am Inhalt dieser Aufzeichnungen. Ebenso wenig wunderte man sich in dem kleinen Zirkel, der beim "Stern" eingeweiht war, über die Schreibwut des "Führers".

Martin Bormann gibt seine Zustimmung

Plötzlich gab es nicht nur die ursprünglich angekündigten 27 Bände, sondern ganze 60 Bände. Trotz zahlreicher Hinweise auf eine mögliche Fälschung zauberte man vollkommen irrsinnige Erklärungen für die Widersprüche herbei: So sei Hitler eben falsch informiert gewesen, wenn sich Daten in den Tagebüchern als falsch herausstellten.

Über das "F.H." statt "A.H." auf den Kladden hätte sich der "Führer" ja auch schon aufgeregt. Auch Martin Bormann - zur Nazi-Zeit Leiter der NSDAP-Parteikanzlei - mit dem Heidemann angeblich Kontakt pflegte, hätte gesagt, die Bücher seien echt und wäre zudem ganz gerührt gewesen, dass diese doch nicht, wie allgemein im Bunker" angenommen, verbrannt wären.

Die Chefredaktion verlangte zwar ein Schriftgutachten, was jedoch kein Problem war, da die Experten Kujau mit Kujau verglichen und so nur die Echtheit der Kladden bestätigen konnten.

Jetzt scheint die Sensation perfekt

Nach der großen Pressekonferenz, bei der man noch tönte, die Geschichte des "Dritten Reiches" müsse nun in Teilen neu geschrieben werden, fanden Papiergutachter heraus, dass es sich bei den Kladden eindeutig um Nachkriegsware handelte. Abgesehen von dem juristischen Nachspiel, dass Heidemann und Kujau auf Jahre ins Gefängnis beförderte, wurde der "Stern" bis heute massiv in seinem Ansehen geschädigt.

Das Buch ist detailreich und amüsant geschrieben. Der Leser aber kann oft nur mit dem Kopf schütteln vor soviel Dreistigkeit, Geldgier und Naivität. Die Tagebücher von Adolf Hitler - ja das wäre eine Sensation gewesen. Sie sollten unbedingt echt sein - da versagten alle Kontrollmechanismen beim "Stern".



Maxi Hönigschmid

Michael Seufert: Der Skandal um die Hitler-Tagebücher; 319 Seiten, 14,90 Euro, Scherz-Verlag ISBN: 978-3502151197

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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