Kultur

Freundschaft in Briefen

von Dagmar Günther · 2. Februar 2009
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Nicht nur, dass zwanzig Lebensjahre sie voneinander trennten, auch sonst hätten sie unterschiedlicher nicht sein können. Was sie einte, war indes ihre Herkunft, beide stammen aus wohlgeordneten Verhältnissen. Und sie gehörten, so Dönhoff, "zur Kategorie der Menschen, die wissen, worum es geht". So wuchs eine tiefe Freundschaft. Die spricht aus jeder Zeile, die sie einander über Jahrzehnte hinweg schrieben.

SIE: Marion Gräfin Dönhoff wurde 1909 in Friedrichstein/Ostpreußen geboren. Die Dönhoffs, westfälischer Uradel, zählten zu den führenden Familien Ostpreußens. Nach ihrem spektakulären Ritt gen Westen 1946 trat sie in die Wochenzeitung "Die Zeit" ein. Sie prägte das Blatt als Autorin, Chefredakteurin und Herausgeberin bis zu ihrem Tod im Jahr 2002. Gräfin Marion Dönhoff avancierte zur Grande Dame des deutschen Journalismus. Sie reiste, berichtete über viele Länder, schrieb 25 Bücher.

ER: Carl Jacob Burckhardt (1891-1974), Abkömmling einer alteingesessenen Baseler Patrizierfamilien, war Historiker, Schriftsteller und Diplomat, Er wirkte als Völkerbundshochkommissar in Danzig, Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Schweizer Gesandter in Paris. Er verfasste eine mehrbändige Richelieu-Biografie und zählte zu den großen Briefeschreibern des 20. Jahrhunderts.

"Inzwischen denke ich sehr an Dich." (Dönhoff)

Sie teilen Freud und Leid. Sei es, dass Döhnhoff sich über eine "Spiegel"-Rezension von Burckhardts Buch erregt oder er sich Sorgen macht, weil sie sich in während ihrer Afrika-Reise die Malaria einfing. Es spricht sehr viel Zuneigung, ja Zärtlichkeit, aus ihren sehr persönlichen Briefen. Und eine hohe Akzeptanz des anderen, auch wenn die Meinungen bei politischen Themen durchaus auseinander gingen.

Und es gibt jede Menge Streitbares in den 50ern, 60ern und Anfang der 70er. Die vom Herausgeber des Briefwechsels, dem Historiker Ulrich Schlie, ausgewählten Briefe beginnen 1952 und enden 1971, kurz vor Burckardts Tod.



"Wir sind zwei bedauernswerte Zeitgenossen." (Burckhardt
)

Immer wieder reißt die Arbeit sie von einander fort, bleibt mitunter wenig Zeit zum Briefe schreiben. Und doch bringt jeder sie einander wieder näher. Egal, ob es alltägliches Kleinklein oder die große Politik ist, die sie beschreiben - ihre Betrachtungen sind originell, heiter und voller Humor. Die unverblümte Sprache und die vielfältigen Themen fesseln und machen das Lesen zum Genuss.


1971 schreibt Dönhoff an Burckhardt, nachdem sie seine zwischen 1954 und 1970 verfasstenBriefe noch einmal gelesen hatte: "... mir war bald wehmütig, bald gerührt zumute, auch habe ich viel gelacht und manchmal sehr gestaunt über elementare Zornesausbrüche, die unseren französischen Nachbarn, den Angelsachsen, Studenten, linken Literaten, schlechten Historikern oder bedenkenlosen Journalisten galten... " Da ist sie also, die ganze Bandbreite der Themen! "Es ist ein Jammer, dass sich die meisten zum Publizieren nicht eignen", schreibt Dönhoff weiter, "weil sie alle entweder Abträgliches, Boshaftes oder Indiskretes über irgendwelche noch lebenden Zeitgenossen enthalten: Weizsäcker, Roland Margerie, die Söhne Keyserling, Deinen Schwiegervater - oder auch über würdige Tote wie Johannes XXIII., de Gaulle, Heuss."

Ob nun genügend Zeit ins Land gegangen ist, einen Teil der Briefe öffentlich zu machen? Herausgeber Ulrich Schlie ist jedenfalls zu danken, dass er es tat. Schade, dass Briefe schreiben irgendwie aus der Mode gekommen zu sein scheint. Wer den Briefwechsel zwischen Marion Gräfin Dönhoff und Carl Jacob Burckhardt ausgelesen hat, ist geradezu süchtig und wünscht sich nur eins: mehr davon!

Dagmar Günther

Ulrich Schlie (Hg.): Marion Gräfin Dönhoff und Carl Jacob Burckhardt "Mehr als ich Dir jemals erzählen könnte". Ein Briefwechsel, Hoffmann und Campe, Hamburg 2008, 383 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3-455-50040-0

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Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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