Kultur

Französische Dramödie

von Kai Doering · 12. April 2012

Kann man der Liebe des Lebens ein zweites Mal begegnen? Die Regisseure David und Stéphane Foenkinos beantworten diese Frage in ihrem Film „Nathalie küsst“ ebenso charmant wie unterhaltsam.

Die junge Frau hat es eilig. Man sieht es an ihren Beinen. Eigentlich sieht man nur ihre Beine und den Zipfel ihres Rocks, ehe die Kamera höher schwenkt und ihren Kopf und den Rückansatz zeigt. Ihr zusammengebundenes dunkles Haar wippt hin und her, während sie weiter eine einsame Kopfsteinpflasterstraße entlanggeht und ihrem Ziel, einem Café, entgegenstrebt. Die Straße ist in Paris und die junge Frau Nathalie (Audrey Tautou) - gerade mit dem Studium fertig, auf Jobsuche und den Kopf voller Ideen. Im Café wird sie gleich François (Pio Marmaï) treffen, sie werden sich ineinander verlieben, heiraten, ein von vielen beneidetes glückliches Paar werden – und durch einen Unfall auseinandergerissen werden.

Doch von all dem haben weder die beiden noch der Zuschauer in dieser ersten Szene von „Nathalie küsst“ (La Délicatesse) die leiseste Ahnung. Der Film der beiden Brüder David und Stéphane Foenkinos (ersterer hat auch die allein in Frankreich bisher 800 000 Mal verkaufte Romanvorlage sowie das Drehbuch geschrieben) beginnt wie unzählige Liebesfilme vor ihm: Mann trifft Frau, es ist Liebe auf den ersten Blick, beide sind glücklich, allein die Eltern nerven ein wenig mit ihrer Frage nach Enkeln, aber ansonsten ist alles perfekt. Doch nach zwanzig Minuten ist die Idylle vorbei. François stirbt bei einem Unfall beim Joggen – filmisch allein angedeutet durch einen Anruf und eine sehr kurze Szene im Krankenhaus – und Nathalie stürzt sich in ihre Arbeit in einem skurril-spießigen schwedischen Unternehmen.

Schmaler Grat zwischen Freundschaft und Liebe

So vergeht die Zeit. Nathalie macht Karriere, versucht den Avancen ihres attraktiven, in sie vernarrten Chefs Charles (Bruno Todeschini) zu entgehen und erlebt, wie die Freunde um sie herum Kinder kriegen und Familien gründen. Bis eines Tages ihr Mitarbeiter Markus (François Damiens), ein groß gewachsener Schwede mit Glatzen- und Bauchansatz in ihrem Büro steht, um sie um Rat wegen „Fall 114“ zu fragen. Aus einem Impuls heraus, den sie später weder sich noch Markus erklären kann, steht Nathalie auf, geht auf ihren Mitarbeiter zu und küsst ihn so leidenschaftlich, dass der Arme gar nicht weiß, wie ihm geschieht. Doch als er sie am nächsten Tag auf den Kuss anspricht, kann sich seine Chefin partout nicht daran erinnern. Trotzdem beginnen die beiden miteinander auszugehen – immer auf dem schmalen Grat zwischen Freundschaft und Liebe – bis sie sich schließlich ein zweites Mal küssen.

„Nathalie küsst“ sei eine „Dramödie“ haben David und Stéphane Foenkinos selbst über ihren Film gesagt. Und der Ausdruck beschreibt den Wechsel zwischen beiden Genres sehr gut. Auf der einen Seite gibt es eine Menge zu lachen, wenn etwa der unbeholfene Markus in einem seiner stets schlecht sitzenden, beigefarbenen Pullover vor Nathalie steht und versucht, ihr Komplimente zu machen („Ich könnte in Ihrem Haar Urlaub machen.“). Oder wenn er „romantischer Abend“ bei Google eingibt, um eine Möglichkeit zum Ausgehen zu finden.

Auf der anderen Seite aber hat der Film auch sehr viele nachdenkliche Momente, etwa wenn Nathalie Markus ihren Freunden vorstellt und diese ihn nicht annehmen oder wenn die Kollegen über die attraktive Chefin und den trampelig-kauzigen Markus lachen. Und auch der gekränkte Firmenchef spielt seine ganz eigene Rolle in dieser ohnehin nicht einfachen Beziehung.

Eine einzigartige Kostümsprache

David und Stéphane Foenkinos haben einen warmherzigen, humorvollen und romantischen Film gedreht. Audrey Tautou brilliert in der Rolle der toughen und doch so zerbrechlichen Nathalie, die sich nach dem Tod ihrer großen Liebe in ihr Schneckenhaus zurückzieht und erst von dem ungeschickten, aber ungemein einfühlsamen Markus ins (Liebes-)Leben zurückgeholt wird. François Damiens ist der eigentliche Star dieses Films. Seine Mimik ist großartig und wird in vielen Großaufnahmen gekonnt in Szene gesetzt.

Überhaupt arbeiten die Regisseure mit einigen Tricks und gewagten Überblendungen, um Parallelen herauszustellen und das Verstreichen der Zeit – der Film erzählt immerhin Nathalies Geschichte über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren – darzustellen. Und sie verwenden eine einzigartige Kostümsprache, die sich bei Markus in allen nur denkbaren Beigeschattierungen seiner Pullover ausdrückt (Nathalie kommentiert das mit dem Satz: „Es ist so beruhigend, dass Sie immer gleich aussehen.“) und bei Nathalie von einer knallroten Bluse bis hin zu einem hinreißenden blauen Abendkleid reicht.

„Nathalie küsst“ ist ein hinreißender Film für jeden, der romantische Komödien mag – und der an die große Liebe glaubt, auch wenn er meint, sie unwiederbringlich vor langer Zeit verloren zu haben.


Nathalie küsst (franz. „La Délicatesse“), Frankreich 2011, 108 min, Regie: David und Stéphane Foenkinos, mit: Audrey Tautou, François Damiens, Bruno Todeschini, Mélanie Bernier, Joséphine de Meaux u.v.a. Kinostart 12. April

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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