Kultur

Filmtipp: Zwei Frauen kämpfen in Griechenland gegen Konventionen

Wenn Selbstbehauptung radikale Entscheidungen erfordert: Anhand zweier Frauen deutet das Drama „Das Wunder im Meer von Sargasso“ den Zustand der griechischen Gesellschaft. Der Film von Syllas Tzoumerkas wurde erstmals bei der Berlinale gezeigt.
von ohne Autor · 13. September 2019

Wieder einmal wacht Elisabeth an diesem Morgen mit schwerem Kopf auf. Und wieder einmal wirkt die Polizistin so am Boden zerstört, dass klar ist, dass ihr nicht nur die vergangene Nacht zusetzt. Ein paar Straßen weiter schreckt Rita, wie so oft von Alpträumen geplagt, aus dem Schlaf. Wenig später wird sie in einer Fischfabrik Aale ausnehmen und anschließend in einer Kirche putzen, um über die Runden zu kommen.

Beide Frauen haben den unbedingten Drang, diesen Ort zu verlassen: Mesolongi, tief im Westen von Griechenland. Das Lagunenstädtchen ist für viele Griechen ein mythologisch aufgeladener Ort aus jener Zeit, als die Bewohner verbissen, aber vergeblich gegen die osmanischen Eroberer kämpften. Von dort starten zudem jedes Jahr Heerscharen von Aalen, um Tausende Kilometer weiter westlich, in der Sargassosee, zu laichen und zu sterben. Anders gesagt: Der beste Trip aller Zeiten kostet sie das Leben. Doch was hat das mit Elisabeth und Rita zu tun?

Moralische Abgründe auf dem Seziertisch

Elisabeth wurde gegen ihren Willen von Athen in die Provinz versetzt. Als ehedem ambitionierte Kraft einer Anti-Terror-Einheit ist sie für den Job als lokale Polizeichefin klar überqualifiziert. Und das lässt sie auch jeden spüren. Rita wiederum träumt von einem Leben jenseits der Lagune, doch einem Absprung steht viel entgegen, zumal sie unter der Knute ihres Bruders lebt. Auch Elisabeth kämpft mit den patriarchalen Strukturen dieser Gegend, die bis in ihr Bett reichen. Eine in bisweilen in monumentalen Bildern eingefangene Gegend, die die Menschen zwar ernährt, aber niemanden wirklich glücklich macht. Von trügerischer Schönheit sind die ausgedehnten Kamerafahrten übers Wasser. Unter der Oberfläche liegen moralische Abgründe, die behutsam offengelegt werden.

Seit der Finanzkrise folgen etliche Filmemacher in Griechenland erst recht dem Impuls, mit jeder Arbeit auch eine Zustandsbeschreibung der Gesellschaft abzuliefern. So auch Syllas Tzoumerkas. In dem erstmals bei der diesjährigen Berlinale gezeigten „Das Wunder im Meer von Sargasso“ erzählt er davon, wie Menschen scheinbar unüberwindbare Mächte besiegen, um ihren eigenen Weg zu gehen. In dem Drama „A Blast“ von 2014 stand noch die Desillusionierung der „Lost Generation“ von Hellas im Angesicht eines allumfassenden Bankrotts im Vordergrund. „Es hat diese Generation ins Mark getroffen, es war etwas ganz Persönliches, Existentielles, was da Schaden genommen hat“, sagt der Regisseur. Sein neuer Film handelt „von der Lebenswirklichkeit im Morast, in den Ruinen und der brutalen Anmut des Wiederaufstiegs, von der Wiederentdeckung von Gegenwehr, Rückeroberung und Freiheitswillen in jedem einzelnen.“

Angeliki Papoulia spielte in „A Blast“ eine Frau, die ohne Rücksicht auf sich und andere aus ihrem Leben ausbricht. Ähnlich radikal hat sie die Rolle der Elisabeth ausgestaltet. Anstatt eine Autorität vorzugeben, bricht sie mit allen Konventionen. Immer bis zum Bersten innerlich gespannt, hat die Polizeipräsidentin, die in ihrer Lederkluft eher an eine in die Jahre gekommene Berliner Clubgängerin erinnert, für die Menschen um sie herum meist nur ein Anblaffen oder Ignoranz übrig. Und natürlich trinkt sie viel zu viel.

Biblische Traumsequenzen, verschlafene Realität

Tzoumerkas nimmt sich viel Zeit, um zunächst auf getrennten Pfaden die Entwicklung der beiden Protagonistinnen einzufangen. Vieles an ihnen bleibt allerdings rätselhaft oder kryptisch. Das liegt auch daran, dass die eigentliche Handlung immer wieder mit, mitunter biblisch anmutenden, Traumsequenzen kontrastiert wird. Als in dieser verschlafenen Welt ein grausamer Mord passiert, erfährt der Film eine dramaturgische Wende, wenn sich auch daraus kein klassischer Krimi-Plot ergibt. Eher wird zusammengeführt, was gewissermaßen zusammengehört.

Es zeigt sich, dass der Widerstand gegen scheinbar allmächtige Umstände manchmal verschlungene Wege nimmt und oftmals unerwartet an Fahrt gewinnt. Tzoumerkas macht aber auch klar, welch hoher Preis für die Transformation eines Lebens, ähnlich wie bei den Aalen, fällig werden kann. Die Gratwanderung zwischen mythologischen Anwandlungen und derben Alltagsszenen an diesem symbolträchtigen, aber absolut schmucklosen Schauplatz mag manchmal konstruiert wirken. Doch liegt der Reiz dieser Geschichte gerade darin, dass sie trotz aller offensichtlichen tragischen Dynamiken die Erwartungen der Zuschauer in die Irre führt.

„Das Wunder von Sargasso“ (Griechenland, Deutschland, Niederlande, Schweden 2019), ein Film von Syllas Tzoumerkas, mit Angeliki Papoulia, Youla Boudali, Christos Passalis u.a., OmU, 121 Minuten. Im Kino

 

 

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