Filmtipp „Valeria is getting married“: Frauen entdecken die Freiheit
Ankunft. Abschied. Neuanfang. Momente am Flughafen markieren meist einen Wendepunkt in einer filmischen Erzählung. Bei „Valeria is getting married" verhält es sich nicht anders. Am Airport von Tel Aviv laufen die Fäden einer Geschichte zusammen, die sich um Hoffnung, Aufbruch und Desillusionierung rankt. Es geht um arrangierte Ehen zwischen ukrainischen Frauen und israelischen Männern.
Eine ebenso chaotische wie berührende Schlüsselszene am Flughafen und kurz darauf auch noch Regen und Gewitter: Gleich zu Beginn des israelisch-ukrainischen Dramas wird deutlich: Hier nehmen Dinge ihren Lauf, die niemand der Beteiligten wirklich abschätzen kann. Und: Da braut sich was zusammen.
Der Traum von einem besseren Leben
Am Flughafenterminal in Tel Aviv treffen Christina und ihr Mann Michael auf Valeria. Es ist Christinas jüngere Schwester aus der Ukraine. In Israel trifft sie erstmals ihren Verlobten Eytan. Die geplante Ehe wurde im Internet arrangiert. Es ist ein Deal, ähnlich wie zuvor bei Christina. Bei Michael hat sie ein schönes Zuhause und Zufriedenheit gefunden – zumindest dem ersten Anschein nach.
Auch für Valeria wünscht sich Christina ein besseres Leben. Das Ticket dafür ist die Hochzeit mit Eytan. Als sich die beiden von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, kommt allerdings alles ganz anders. Valeria zweifelt. Eytan, der sich seiner Sache sehr sicher war, kämpft mit aller Kraft der Verzweiflung um Valeria. Er nennt sie bereits „meine Frau“. Zur Begrüßung hat er sie mit einem neuen Handy bedacht. Die Stellung von Christina als Ehefrau – mit dem Zuzug ihrer Schwester verbindet sie eigene Interessen – gerät ins Wanken. Ihr Mann macht sie für Valerias Verhalten verantwortlich. Sein Unmut hat auch ökonomische Gründe: Bei der ganzen Sache geht es auch um – sein – Geld.
Zutiefst patriarchalische Strukturen in Israel
„Valeria is getting married“ ist der zweite Spielfilm der israelischen Regisseurin und Co-Drehbuchautorin Michal Vinik. Das Drama erzählt von einem sozialen Phänomen, das in Israel immer alltäglicher wird. Es führt hinein in zutiefst patriarchalische Strukturen eines Landes, das unter den andauernden Rechtsregierungen auf eine ungewisse Zukunft zusteuert. Diese Einblicke werden auf eine nahezu beiläufige, aber umso wirksamere Weise vollzogen. Doch es geht um mehr als um „gekaufte Frauen“ aus Osteuropa und bevormundende Gatten – und solche, die es werden wollen – im Heiligen Land.
Das intensive, weitgehend kammerspielartige Werk befasst sich mit asymmetrischen Beziehungsstrukturen, die auch in anderen Kontexten anzutreffen sind. Menschen werden in bestimmte Rollenbilder hineingezwängt. Doch Valerias Beispiel zeigt, dass sich niemand damit abfinden muss. Ihr Widerstand führt dazu, dass auch Christina die Art und Weise ihres Neuanfangs im Nahen Osten überdenkt. Hat sie nicht im Grunde ihr ehemaliges prekäres Leben gegen ein neues solches getauscht, nur eben unter anderen Umständen? Das Verhältnis zwischen den Schwestern nimmt einen anderen Charakter an. Vor allem, weil sich jede für sich vom Objekt zum Subjekt wandelt. Von einer Getriebenen zur Handelnden.
Ein großartiges Ensemble, das die Geschichte trägt
Die Ästhetik und die Erzählweise sind auf das Allernötigste reduziert. Das spröde Ambiente einer Vorstadt wird ebenso spröde eingefangen. Michal Vinik setzt auf einen konsequenten Realismus. Besonders originell ist das nicht, aber es funktioniert. Alles spielt sich in natürlichem Licht ab. Fast könnten Zuschauende glauben, mit in Christinas und Michaels Wohnzimmer zu sitzen, wo alte Träume zerplatzen und neue entstehen. Vor allem aber lenkt dieses Vorgehen die Aufmerksamkeit voll auf das großartige Ensemble, das diese Geschichte trägt und bis zum Schluss spannend macht – allen voran die Hauptdarstellerinnen Lena Fraifeld (Christina) und Dasha Tvoronovich (Valeria).
In diesem auch zeitlich eingedampften Rahmen werden selbst grundsätzliche Fragen reduziert, aber aussagekräftig behandelt. „Ehe ist ein Geschäft“, lässt sich Valeria von einem Mann sagen, der großes Interesse daran hat, dass ihre Ehe mit Eytan zustande kommt. „Ich habe alles, was ich brauche“, antwortet Christina auf Valerias Frage, ob sie ihren Ehemann liebt.
Für Christinas Weg, der auf eine erneute Tour zum Flughafen folgt, braucht es keine Worte. Es genügen die schlichten, aber eben auch sehr berührenden Bilder eines Filmes, der gerade durch seine Illusionslosigkeit Hoffnung macht.
Info: „Valeria is getting married“ (Israel, Ukraine 2022), ein Film von Michal Vinik, mit Lena Fraifeld, Dasha Tvoronovich, Yakov Zada Daniel, Avraham Shalom Levi u.a., 76 Minuten, OmU.
www.wfilm.de
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