Kultur

Filmtipp „Srbenka“: Eine Bühnentherapie für die Schrecken des Krieges

Ein ermordetes Mädchen spaltet die Nation: Der Dokumentarfilm „Srbenka“ erzählt von der Premiere eines Theaterstücks über Bürgerkriegsgräuel in Kroatien.
von ohne Autor · 30. Oktober 2020
Zurück aus dem Reich der Toten: Aleksandra Zec, Titelfigur des gleichnamigen Theaterstücks.
Zurück aus dem Reich der Toten: Aleksandra Zec, Titelfigur des gleichnamigen Theaterstücks.

Ethnische Konflikte und die Wunden des Krieges sind in der Regel langlebiger als die Berichterstattung in den Medien vermuten lässt. Das zeigt sich besonders deutlich, wenn der Blick auf das Gebiet des früheren Jugoslawiens fällt. Ob Drama oder Komödie: Filmemacher*innen aus der Region haben uns in den letzten Jahren immer wieder mit Geschichten über persönliche Schicksale konfrontiert.

Hass, Verbrechen, Traumata

Man denke nur an den serbischen Film „Enklave“ von 2015: Dieser schildert den Alltag eines Jungen, der in einem serbischen Dorf wohnt, das komplett vom Kosovo umschlossen wird.

In „Srbenka“ führt Regisseur Nebojsa Slijepcevic vor, dass im Zeichen von ethnischem Hass begangene Verbrechen nicht nur traumatisierte Menschen und Leichenberge hinterlassen, sondern auch Jahrzehnte später noch für politische Kontroversen, wenn nicht gar Skandale gut sind.

Aleksandra Zec: Symbolfigur für Kriegsgräuel

Schauplatz des Films ist Zagreb. Anfang der 90er-Jahre, als in Kroatien der Bürgerkrieg zwischen Serben und Kroaten tobte, wurden in der Hauptstadt der früheren jugoslawischen Teilrepublik ein serbisches Ehepaar und ihre zwölfjährige Tochter ermordet. Das Mädchen hieß Aleksandra Zec. Ihr Name wurde zu einem Symbol für die Bestialität des Kroatienkriegs, aber auch zum Politikum: Bis heute wurde für den Mord niemand belangt. Dass er von regierungsnahen Kriminellen begangen wurde, gilt als sicher.

25 Jahre später verarbeitete Oliver Frljić, einer der renommiertesten und radikalsten Theatermacher Kroatiens, diese Geschichte in seinem Theaterstück „Aleksandra Zec“. Und löste einen Skandal aus. Slijepcevics Film verfolgt, wie aus einer Idee eine bühnenreife Inszenierung wird. Eine Idee, mit der sich niemand aus dem Ensemble unvoreingenommen auseinandersetzen konnte. Weder die erwachsenen Schauspieler*innen, die ihr ganz persönliches Päckchen aus der Zeit der Sezessionskriege zu tragen haben noch die jungen Mädchen, die mit den Nachwirkungen jener Zeit leben.

Wer hätte gedacht, dass „Serbe“ oder „Serbin“ auf kroatischen Schulhöfen auch heute noch zum Schimpfwort taugen und Kinder ihre ethnische Identität, insofern sich eine solche überhaupt klar definieren lässt, lieber verschweigen? Wie schwer mag es einer Zwölfjährigen fallen, sich ausgerechnet vor einem Theaterpublikum zu ihren serbischen Wurzeln zu bekennen?

Nationalisten protestieren gegen die Premiere

Es ist daher kein Wunder, dass Frljićs Stück gerade unter nationalistisch gesinnten Kroaten einen Sturm der Entrüstung auslöste. Im Film sind einige von ihnen zu sehen: Mit Transparenten protestieren sie am Abend der Premiere vor dem kleinen Theater. Ihrer Auffassung nach sollte man lieber an kroatische Kinder erinnern, die in den Kriegsjahren umkamen. Auch Frljić selbst wird immer wieder angefeindet: 2016 schmiss er seinen Intendanten-Job am Nationaltheater in Rijeka hin. Der Kulturminister hatte ihm vorgeworfen, „unkroatisches“ Theater zu machen.

Darauf geht „Srbenka“ nicht weiter ein. Gleichwohl ist Frljics von Unerschrockenheit und Lust auf Provokation geprägte Arbeitsweise zu erkennen. Die Proben werden zu einer Art Psychotherapie: Die Beschäftigung mit der Vergangenheit fördert Dinge zutage, die die Bühnenprofis immer wieder an ihre Grenzen bringen. Dies offenbaren die Probenszenen, aber auch als Off-Kommentar eingebaute Monologe.

Als wären wir selbst auf der Bühne

Auch für die Zuschauenden gerät das Ganze zur Kraftprobe. Zunächst einmal, weil es schwerfällt, sich zwischen den Textfragmenten, Regieanweisungen und Diskussionsbeiträgen zurechtzufinden, die während der Einstellungen von der Bühne auf uns einprasseln. Mit seiner Handkamera ist Slijepcevic immer ganz dicht dran und auch der Ton vermittelt den Eindruck, dass man selbst mit auf der Bühne steht.

Wegen der Fülle an Eindrücken und der nicht auf Anhieb nachvollziehbaren Erzählstruktur erschließt sich manch eine Nuance erst nach mehreren Durchläufen. Umso berührendere Momente sind möglich, wenn man sich ganz auf diesen zunächst etwas unübersichtlichen Bilderstrom einlässt. Aus vielen Fragmenten formt sich eine diffuse Antwort auf die Frage, wie im Schatten der Jugoslawienkriege aufgewachsene Menschen mit einer Vergangenheit leben, die erschreckend gegenwärtig ist.

Info: „Srbenka“ (Kroatien 2018), ein Film von Nebojsa Slijepcevic, 72 Minuten, OmU, ab

Im Kino

https://riseandshine-cinema.de/srbenka

 

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