Filmtipp: Schöne Bilder und Stefan Zweigs Leiden an Europa
Die Vita dieses Schriftstellers ist zum Symbol dafür geworden, wie Europa unter Hitler geistig ausblutete: Stefan Zweig, seinerzeit der neben Thomas Mann meistgelesene deutschsprachige Autor weltweit, flieht 1934 von Österreich, wo der Einfluss der Nazis stetig wächst, nach England und später in die USA. Auf seinen Reisen durch den Süden des Kontinents wird der erklärte Pazifist wie ein Staatsgast empfangen. Brasilien, wo verschiedene Rassen und Klassen friedlich zusammenzuleben scheinen, ist ihm eine Verheißung. Zweigs Biografie steht aber auch für das Scheitern im Exil: 1942 wählt er mit seiner Frau Lotte den Freitod.
Eine Allegorie über das Exil Stefan Zweigs
Für diese künstlerisch erfüllte, aber ansonsten sehr schmerzhafte Lebensphase wählte Schrader – als Schauspielerin verkörperte sie wiederholt Menschen in extremen Situationen jener Zeit – eine für historische Stoffe unkonventionelle Erzählweise und Ästhetik: In fünf, eher lose miteinander verknüpften Episoden schildert sie einige von Zweigs Stationen zwischen 1936 und 1942. Angefangen beim Empfang des brasilianischen Außenministers über den P.E.N.-Kongress in Buenos Aires über einen Besuch bei seiner Ex-Frau in New York und bis hin zu einem Bungalow bei Rio.
Direkte kunstvolle Bilder fesseln
Doch da ist keine Spur von melodramatischen Wendungen, wie man sie aus geläufigen Bio-Pics kennt. Stattdessen dominieren ebenso direkte und dokumentarische wie kunstvolle Bilder. In langen Einstellungen, etwa beim Auftragen eines festlichen Banketts oder beim Blick auf den rauschenden Urwald, erschließt sich das Auge Detail um Detail. So wie es auch der präzise und ausdauernde Beobachter Zweig getan haben dürfte. Zudem müssen die europäischen Migranten unter der südamerikanischen Sonne kräftig schwitzen: wohl auch ein Symbol für die Erschöpfung von Körper und Geist, die das rastlose Leben mit sich bringt. Und Zweig im Alter von 60 Jahren endgültig resignieren lässt.
Gleichwohl bleibt genügend Raum für Komisches und Tragikomisches. Etwa, wenn zu Ehren des Dichters am Rande des Dschungels ein holpriger Wiener Walzer erklingt: ein weiteres Quantum Verlusterfahrung für den gebürtigen Donaustädter. Dass dieser weder gedanklich noch emotional von seinen Wurzeln lassen kann, ist überdeutlich, zugleich wird dieses tragische Moment nuanciert in den mitunter beiläufigen Handlungsfaden eingebettet. Hauptdarsteller Josef Hader, ansonsten als Komödiant und Kabarettist bekannt, überzeugt mit einem zurückgenommenen Spiel, das mehr erahnen lässt als offenbart und seinen Protagonisten mit melancholischem wie humorvollem Charme umgibt.
Nicht erklären, sondern zeigen
Durch die Short-Cuts-Struktur muss sich der Zuschauer in dieser Geschichte immer wieder neu sortieren, wenngleich das Ende klar ist. Dazu gehört auch, dass die Erzählung nach den ersten beiden Sequenzen in Brasilien und Buenos Aires an Fahrt verliert: Haben wir anfangs Teil am Drama des so umjubelten wie bedrängten Autors, auf dem ein enormer Druck lastet, sich endlich mit den politisch Verfolgten in der Alten Welt zu solidarisieren, folgen wir auf der Zielgeraden dieser menschlichen Tragödie eher lakonisch gehaltenen Szenen über einen Zweifelnden, Zaudernden und Suchenden auf Entdeckungstour. Schraders Film will nicht erklären, sondern zeigen: eine großartige Erzählung über den unlösbaren Konflikt zwischen künstlerischer Unschuld und einer brutalen Realität.
Info:
„Vor der Morgenröte“ (Deutschland /Frankreich/ Österreich 2016), Regie: Maria Schrader, Drehbuch: Maria Schrader und Jan Schomburg, Kamera: Wolfgang Thaler, mit Josef Hader, Aenne Schwarz, Barbara Sukowa, Matthias Brandt, André Szymanski u.a., OmU, 106 Minuten
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