Filmtipp „This Rain Will Never Stop“: Die ewige Gewaltspirale im Krieg
Wie lebt man mit dem Krieg? Manche Menschen versuchen es mit Lakonie. „Ich gehe im Fluss schwimmen, bislang hat niemand geschossen“, sagt der alte Mann vor der Kamera. Im Hintergrund ein Knattern aus der Ferne. Hier, ganz tief im Osten der Ukraine, wo seit 2014 die Waffen sprechen.
Mit dem Krieg leben: Seit der brutalen Invasion, die Russland Ende Februar gegen die Ukraine gestartet hat, herrscht in dem ohnehin von massiven Gewalterfahrungen geprägten Land unsägliches Leid. Mit dem Wissen um diese schreckliche Gegenwart wirkt der bereits 2020 fertiggestellte Film der Kiewer Regisseurin Alina Gorlova wie eine düstere Prophezeiung kommender Ereignisse. Tatsächlich verfolgt „This Rain Will Never Stop“ aber einen breiteren Fokus.
Kreislauf von Gewalt und Normalität
Dieser liegt in einem ewigen Kreislauf von Krieg und Frieden, Zerstörung und Wiederaufbau, Leben und Tod, nicht nur in der Ukraine. Das eine Extrem kann ohne das andere nicht existieren, beide sind tief im Wesen des Menschen verankert.
Wie könnte man Alina Gorlova diesen wenig hoffnungsvollen Blick angesichts der jüngsten, aber auch der jüngeren Ereignisse in ihrem Land verdenken? Sie geht der Frage nach, wie sich die Menschen in diesem ewigen Wechselspiel einrichten und so etwas wie Normalität erleben. Und welche Narben das Leben mit der Gewalt hinterlässt.
Von Syrien in die Ostukraine
Im Zentrum der Geschichte stehen ein junger Mann und seine Familie, die diesen Kreislauf geradezu symbolisieren. Um dem Bürgerkrieg in Syrien zu entkommen, ging Andriy Suleyman, der Sohn eines kurdischen Vaters und einer ukrainischen Mutter, vor zehn Jahren mit Eltern und Geschwistern in die Ostukraine. Zwei Jahre später waren sie plötzlich mitten in einem neuen Konflikt.
Der kurdische Teil der Familie ist wegen der Krisen und Kriege im Nahen Osten über viele Länder verstreut. Bleiben oder gehen? Für die Suleymans in Lyssytschansk stellt sich 2014 die Frage, vor der momentan Millionen von Ukrainer*innen stehen. Andriy will bleiben und helfen. Als Freiwilliger des Roten Kreuzes begleitet er Hilfstransporte in den Gebieten der russlandfreundlichen Separatisten im Donbass. Gleichzeitig beginnt der 20-Jährige, das Geburtsland seines Vaters zu erkunden.
Wechsel der Extreme
Das Leben feiern oder Leben zerstören: Der eingangs beschriebene Kreislauf der Extreme, aber auch verschiedene Kontraste in Andriys Erfahrungswelt, werden mit einem optischen Wechselspiel eingefangen. Bilder von Truppenparaden wechseln sich ab mit Aufnahmen einer Gay Pride-Parade. Auf ukrainischen Volkstanz folgt ein kurdisches Neujahrsfest. Am Ende wird alles zu einer einzigen, immer schneller werdenden Bilderflut, in der die Gegensätze verschwinden.
Andriys Geschichte beginnt eher unvorbereitet. An einem Grenzkontrollpunkt zwischen den Separatistengebieten und dem ukrainisch kontrollierten Teil des Landes bleibt die Kamera scheinbar zufällig an ihm hängen, als sich der Rotkreuz-Helfer inmitten von Geflüchteten bewegt. Auch sonst wirkt in diesem mehr essayistisch denn klassisch erzählend gestalteten Film einiges eher locker zusammengefügt. Das macht es nicht immer einfach, den Verästelungen der Großfamilie wie auch des binnen zwei Jahren dokumentierten Geschehens zu folgen.
Mythische Bilder
Umso eindringlicher ist in dieser „freien Form“ die Bildsprache. Der Film wurde komplett in Schwarz-Weiß gedreht. Dadurch werden die Unterschiede zwischen den Schauplätzen auf den ersten Blick verwischt. Die oftmals statischen Landschaftsaufnahmen gewinnen eine besondere, fast schon mythische Tiefe. Immer wieder kehrt die Kamera zum Wasser zurück. Zum ewigen Strom des Lebens, dessen Bedrohung erkennbar wird, wenn sich das Blickfeld weitet.
Für Alina Gorlova ist dies nicht der erste Film zur Psychologie von Krieg und Gewalt. In ihrem mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm „No Obvious Sign“ befasste sich die 1992 geborene Regisseurin mit einer ukrainischen Soldatin, die wegen posttraumatischen Stresses eine Rehabilitation durchläuft.
Bleiben oder gehen?
Wegen Corona wurde der Kinostart von „This Rain Will Never Stop“ auf dieses Jahr verschoben. Die Schrecken der Gegenwart verstärken das bittere Gefühl, das dieser größtenteils sehr poetisch gehaltene Film hinterlässt, der um den Krieg kreist, ohne ihn zu zeigen.
Bleiben oder gehen? Auch Alina Gorlova hat sich entschieden. Gemeinsam mit Produzent Maksym Nakonechnyi kümmert sie sich in Kiew um Menschen in Not und organisiert den Aufbau von Freiwilligengruppen. „Ich käme nicht auf die Idee, mein Land zu verlassen“, sagte sie Anfang März gegenüber dem „Spiegel“. „Kiew ist meine Stadt, ich bleibe hier bis zum Ende.“
Info: „This Rain Will Never Stop“(Ukraine, Lettland, Deutschland, Katar 2020), ein Film von Alina Gorlova, Vyacheslav Tsvetkov, 104 Minuten, OmU, FSK ab zwölf Jahre, https://jip-film.de/
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