Kultur

Filmtipp „Quo vadis, Aida?“: Das Massaker von Srebrenica

Ein persönliches Schicksal als Auftrag für die Gegenwart: Das erschütternde Filmdrama „Quo vadis, Aida?” erzählt, wie eine Übersetzerin den Horror des Bosnienkrieges erlebt.
von ohne Autor · 6. August 2021
Dramatische Lage: Übersetzerin Aida (Jasna Ðuriči) versucht zu retten, was zu retten ist.
Dramatische Lage: Übersetzerin Aida (Jasna Ðuriči) versucht zu retten, was zu retten ist.

26 Jahre später meinen wir über die Schrecken von Srebrenica alles zu wissen. Dafür haben auch die Prozesse gegen Kriegsverbrecher wie Ratko Mladić gesorgt. Der damalige Oberbefehlshaber der bosnisch-serbischen Truppen verantwortete das größte Massaker seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges: die Ermordung von mehr als 8.000 bosnisch-muslimischen Männern und Jugendlichen im Juli 1995.

„Wozu ist Srebrenica eine UN-Schutzzone?“

Doch vor allem eine Frage bleibt bis heute. In dem bewegenden Werk der bosnischen Regisseurin Jasmila Žbanić findet der Bürgermeister der bosnischen Stadt dafür diese Worte: „Wozu ist Srebrenica eine UN-Schutzzone, wenn die Serben tun können, was sie wollen?“ Ohnmacht und Wut liegen darin. In dieser düsteren Szene ist beides raumgreifend. Dort, in dem Besprechungsraum im Halbdunkel. Sechs Männer und eine Frau sitzen um einen Tisch in der Basis der niederländischen UN-Truppen. Diese sind für den Schutz der Menschen in und um Srebrenica verantwortlich. Die Antwort des Kommandeurs auf die Frage: kaum mehr als ein Achselzucken. Mladićs Panzer kommen immer näher.

Auch Aida, die Frau am Tisch, ist ohnmächtig, vor allem aber wütend. Sie arbeitet als Dolmetscherin für die wenig entschlossenen, schlecht ausgerüsteten, letztlich aber auch von UN und Nato im Stich gelassenen Blauhelmsoldaten. Die Protagonistin nimmt eine Sonderrolle ein: Durch ihren Dienst hat sie Zugang zur Kommandoebene und zu Informationen, die den Leuten, die sich zu Tausenden vor dem Zaun des Stützpunktes sammeln, vorenthalten bleiben. Mit diesen teilt sie wiederum die Furcht um Leib und Leben der Angehörigen.

Das Wissen um das Geschehen lässt sich nicht ausblenden

Was Aida, einer verheirateten Mutter von zwei heranwachsenden Söhnen, dieser Balanceakt abverlangt, ist in jeder Sekunde zu beobachten. Unablässig rennt sie durch das Militärlager, um nach Lösungen für die Menschen zu suchen, denen für kurze Zeit das Tor geöffnet wird. Aber auch, um ihre Familie zusammenzuführen und zusammenzuhalten. Mit ihrer dem Überlebensinstinkt zu verdankenden Energie macht sie scheinbar Unmögliches möglich, sodass sich Zuschauende schon fast die Augen wischen, dass die frühere Lehrerin die bosnisch-serbischen Kämpfer nicht daran hindern kann, einen von langer Hand vorbereiteten Plan in die Tat umzusetzen. Aber eben nur fast. Natürlich lässt sich das Wissen um das, was damals passierte, nachdem die Zivilisten mit Bussen weggeschafft worden waren, nicht ausblenden.

Mit dem Fokus auf Aidas persönlicher Geschichte als Teil einer kollektiven Tragödie erleben wir das historische Geschehen, wenngleich mit fiktionalen Elementen versehen, aus einer Perspektive, die deutlich macht, welche fatalen Folgen moralisches und politisches Versagen haben können. Und die nicht zuletzt an Aidas Beispiel zeigt sich, warum es gerade im Angesicht einer Katastrophe auf die richtige, ergo entschlossene Haltung ankommt. Laut Verleih richtet Jasmila Žbanić damit auch ein Signal an gegenwärtige Regierungen, sich entschlossener für den Schutz von Geflüchteten einzusetzen.

Was ist Lüge und was ist Wahrheit?

Das Agieren der Staatengemeinschaft im Bosnienkrieg schwingt im Hintergrund mit, doch das Zentrum bilden Aida und das Geschehen in ihrer unmittelbaren Umgebung. Die Gegend jenseits des Zaunes der Militärbasis wird im Verlauf des Films zum Feindgebiet. Und Aida zu einer Art Vermittlerin zwischen Eroberern und „Beschützern“. Was ist Lüge und was ist Wahrheit in diesem von Männern gemachten System des Krieges? Beides voneinander zu unterschieden, wird für die unerschrockene Aida immer schwieriger, je mehr sich die Lage zuspitzt. Kein Wunder, dass der an Ruhepunkten ohnehin arme Erzählfluss ebenso atemlos wird wie Aida. Deren Geschichte wurde von den Erlebnissen eines realen männlichen Übersetzers in der UN-Schutzzone inspiriert. 

Explizite Gewaltszenen bietet dieser bis hin zu Kostüm und Requisite äußerst stimmig und subtil inszenierte Film kaum. Die eindringliche Wirkung beruht nicht zuletzt darauf, dass es Jasmila Žbanić, geboren 1974 in Sarajevo und bekannt geworden mit dem Drama „Esmas Geheimnis“, erneut gelungen ist, schutzlosen Menschen Gesicht und Stimme zu geben. Nicht in Form einer didaktisch angereicherten Lehrstunde, sondern mittels einer auch auf persönlicher Ebene zutiefst berührenden Handlung von zeitloser Dimension. Und ein Stück weit auch darauf, weil das Leben und das Überleben gefeiert werden – verstanden als ein Auftrag an die Zukunft.

Info: „Quo vadis, Aida?“ (Bosnien und Herzegowina, Österreich, Rumänien, Niederlande, Deutschland, Polen, Frankreich, Norwegen 2020), ein Film von Jasmila Žbanić, Kamera: Christina A. Maier, mit Jasna Ðuriči, Izudin Bajrović, Dino Bajrović, Boris Isaković u.a., 104 Minuten.

http://www.farbfilm-verleih.de/filme/quo-vadis-aida/

 

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