Kultur

Filmtipp „Letzte Tage in Havanna“: Bittere Hymne auf Überlebenskünstler

Bleiben oder gehen? Anhand zweier alternder Männer erzählt das Drama „Letzte Tage in Havanna“ von einem Grundkonflikt zahlloser Kubaner. Regisseur Fernando Pérez zeichnet ein deprimierendes Bild vom Alltag im Castro-System, feiert aber auch einen unerschütterlichen Lebensgeist.
von ohne Autor · 30. Januar 2018
Aidskrank in Havanna: Miguel (links) hilft Diego, seine verbleibende Zeit zu genießen.
Aidskrank in Havanna: Miguel (links) hilft Diego, seine verbleibende Zeit zu genießen.

Elegante Paläste mit kolonialem Charme und klapprige amerikanische Straßenkreuzer auf den Straßen: Die Altstadt von Havanna mag die Fantasie ausländischer Touristen beflügeln. Für die Kubaner, die dichtgedrängt in den ruinösen Protzbauten leben, ist der Alltag die Hölle.

Niedergang der sozialistischen Insel

Von fließendem Wasser können sie in Fernando Pérez' neuem Film nur träumen. In langen Schlangen warten sie an der Zapfsäule vor bröckelnden Fassaden. In dem Verfall der Infrastruktur zeigt sich der Niedergang des gesamten politischen und wirtschaftlichen Systems auf der sozialistischen Karibikinsel. Viele Insulaner stehen vor der Frage: bleiben oder gehen? Rund 30.000 Kubaner kehrten dem Land allein im Jahr 2015 den Rücken.

Mancher, der in diesem Reich der Perspektivlosigkeit überleben will, wurschtelt sich möglichst unauffällig durch und arrangiert sich mit dem maroden Drumherum und einer erstarrten Bürokratie. Andere flüchten sich in Träume, klammern sich an die Sehnsucht, das Leben möge bald eine bessere Wendung nehmen, am besten im Ausland. Oder man übt sich gerade im Angesicht der Krise in revolutionärer Autosuggestion. Die gesellschaftliche Moral reduziert sich auf einen mitunter zynischen Pragmatismus.

Der Tristesse mit Vitalität trotzen

Eine Ahnung von all dem gibt dieses Drama, das im vergangenen Jahr auf der Berlinale lief. Vielen Einwohnern Havannas sei die Fähigkeit zu eigen, sich auf täglich neue Unbill einzustellen, sagt Pérez, Kubas international bedeutsamster Filmschaffender. Mit einer für Außenstehenden rätselhaften Vitalität trotzen sie der Tristesse. Das mag idealisierend klingen, doch Pérez gelingt es, ein Loblied auf eben diese Lebenskraft anzustimmen, ohne die Figuren oder gar die Umstände zu beschönigen.

Im Zentrum stehen Diego und Miguel. Beide Männer sind um die 50 und teilen sich eine Bruchbude. Deren einstmals kolossale Gestalt ist noch zu erahnen. Miguel rackert sich als Tellerwäscher in einem Restaurant ab. Geistig ist er längst in seinem Traumland USA. Ungeduldig wartet er auf den erlösenden Brief mit den nötigen Papieren, um auszuwandern. Mit stoischer Miene und wenigen gegrummelten Worten kommt er durch den Tag.

Im Angesicht des Todes Gier nach Leben

Diego hingegen ist bereits kurz vor dem Ende seiner Reise: Der Aidskranke vegetiert im Bett vor sich hin. Während Miguel ihn umsorgt, wartet er auf den Tod. Gleichzeitig erwacht in ihm immer wieder die Gier nach Leben, auch im sexuellen Sinne. Doch seine sich rapide verschlechternde körperliche Verfassung macht ihm klar, wie vergeblich seine Versuche sind, die Krankheit auszublenden, was wiederum Diegos Galgenhumor beflügelt.

Der homosexuelle Outsider ist eine tragische Existenz und zugleich ein Sinnbild für all die anderen Kubaner, die versuchen, eine deprimierende Realität zu überwinden. Der Gegensatz zwischen dem in sich gekehrten Miguel und dem exaltierten Diego bietet an sich schon genug Potenzial für Konflikte. Als auch noch Diegos schwangere Nichte, die von zu zu Hause ausgerissen ist, mit einzieht, gerät die ohnehin komplizierte Konstellation vollends aus den Fugen. Wird es Miguel gelingen, all das hinter sich zu lassen?

Ein präziser und emotionaler Blick

Pérez ist außerhalb seines Heimatlandes vor allem mit dem Dokumentarfilm „Suite Habana“ bekannt geworden. Darin lässt er das Publikum 24 Stunden am Leben „durchschnittlicher“ Kubaner teilhaben. Auch „Letzte Tage in Havanna“ lebt von einem präzisen Blick auf die Dinge. Gleichzeitig komponiert Pérez die Szenen, etwa wenn Miguel gleich einem unscheinbaren Schatten durch das städtische Gewusel stapft, wie eine elegante Suite. All die Momente voller Emotion und visueller Intensität kommen ohne Theatralik aus.

Erneut begegnen wir einem Kaleidoskop von Menschen, die ein Milieu repräsentieren, das der Regisseur für das „wahre Barometer“ der kubanischen Gesellschaft hält. Somit hinterlässt der Film eine ziemlich düstere Note, wenn Diegos anfangs so rebellische Nichte am Ende spricht: „Ich habe keine Angst, dass die Welt untergeht, sondern dass sie so bleibt, wie sie ist.“

„Letzte Tage in Havanna“ (Kuba 2016), ein Film von Fernando Pérez, mit Jorge Martinez, Patricio Wood, Gabriela Ramos u.a., OmU, 93 Minuten

Ab sofort im Kino

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