Filmtipp „Donbass“: Provokanter Blick auf die Fratze des Krieges
Bei den Kriegen dieser Zeit geht es auch darum, die Macht über die Bilder zu gewinnen. Im Internet kursieren zahllose Videos von umkämpften Krisenherden. Fernsehjournalisten ziehen diese Bilder gerne heran, oft mit dem Hinweis, deren Glaubwürdigkeit sei nicht überprüfbar. Doch sind sie erst einmal in der Welt, entfaltet sich die Wirkung von ganz allein.
Seit 2014 tobt der Krieg in der Ostukraine
Das ist bei dem Krieg im Osten der Ukraine nicht anders. Seit 2014 liefern sich von Russland unterstützte Separatisten blutige Kämpfe mit der ukrainischen Armee und Freiwilligenverbänden. Seitdem tobt auch ein Propagandakrieg. Ob angeblich von Ukrainern gefolterte Zivilisten im Donbass oder mit der Helmkamera festgehaltene Momente im Schützengraben: Das Angebot an Online-Videos ist unerschöpflich.
Der Regisseur Sergei Loznitsa ließ sich davon zu seinem aktuellen Film inspirieren. So verwirrend, brutal und skurril wie der Kriegsvideo-Salat auf den einschlägigen Portalen ist auch „Donbass“. In 13, nur lose miteinander verknüpften Episoden erzählt Loznitsa vom alltäglichen Wahnsinn zwischen den Frontlinien. In den mal schrill, satirisch oder naturalistisch festgehaltenen Momentaufnahmen geht es aber nicht nur um die Darstellung von Elend, Willkür und Chaos.
„Der Krieg ist genauso eine Krankheit wie die Pest“
Loznitsa zeigt, wie sich die Angehörigen der Smartphone-Generation, zumal zu Propagandazwecken, auch im Krieg andauernd inszenieren – stets im Wissen, dass die Bilder Sekunden später ins Netz sausen. Insofern geht es auch um die Entstehung sogenannter Fake News. Gleichwohl ist zu verfolgen, wie sich Menschen im Zeichen von Gewalt und Tod verändern, wie Ideale und Moral pervertieren.
„Der Krieg ist genauso eine Krankheit wie die Pest“, so Loznitsa. „Was mich umtreibt, ist der Menschentyp, der von einer durch Aggressivität, Niedergang und Zerfall geprägten Gesellschaft hervorgebracht wird“, sagt der 1964 in der Sowjetunion geborene und mittlerweile in Deutschland lebende Filmemacher. „Es sind die Menschen, ihre Mentalität, ihre Beziehungen untereinander, die den Boden für historische Katastrophen bereiten. Die menschliche Natur kommt zum Vorschein, wenn die Gesellschaft zusammenbricht, wenn man sich nur noch auf die eigene geistige Kraft stützen kann.“
Ein Strudel aus Menschen und Situationen
Dafür bietet „Donbass“ etliche Beispiele. Die Geschichten basieren auf tatsächlichen Ereignissen aus den Jahren 2014 und 2015 in dem besetzten Gebiet. Loznitsa trug nach eigenem Bekunden die anschaulichsten Geschichten und erhellendsten Anekdoten zusammen, feilte hier und da an der Dramaturgie und Struktur.
Sämtliche Geschichten drehen sich um Zivilisten und Kämpfer beider Kriegsparteien, nur einmal kommt ein deutscher Journalist hinzu. Es gibt keine wirklichen Protagonisten, lediglich Figuren, die von einer Szene in die nächste führen. Zuschauende verlieren sich zunächst in einem Strudel aus Menschen und Situationen, bevor sich daraus eine wirkliche Erzählung formt.
Ein Gesicht des Krieges, das hässlich und beängstigend ist
Manche Szenen sind so bizarr, dass man meint, sie könnten nur einem durchgeknallten Drehbuch entstammen: Eine Journalistin kippt dem Bürgermeister, der sie verunglimpft hat, einen Eimer Scheiße über den Kopf. Anschließend fetzt sie sich mit der Bürgermeistergattin. Ein Trupp Schauspieler wird aus dem Wohnwagen und über einen Hof gescheucht. Dabei sind Granateinschläge zu hören. Anschließend mimen sie für das russische Fernsehen schockstarre Zivilisten, die vom Beschuss durch die Ukrainer berichten. Später werden sie ein ganz reales böses Ende nehmen. Anderenorts sehen wir, wie bei der Hochzeit eines nicht mehr ganz so jungen Brautpaars ein überdrehter Treueschwur gegenüber der neuen Heimat „Neurussland“ und deren Verteidigern die komplette Zeremonie überlagert.
Bei den Filmfestspielen von Cannes eröffnete „Donbass“ die Sektion „Un Certain Regard“ und wurde mit dem Preis für die Beste Regie ausgezeichnet. Der Film bietet allerdings vielerlei Angriffsflächen. So wurde Loznitsa, der 2014 mit seiner Dokumentation „Maidan“ auf sich aufmerksam gemacht hat, antirussische Propaganda vorgeworfen, selbst wenn der Film das Geschehen auf beiden Seiten abbildet. Auch die Methode, den Zuschauer mit einem Mix aus mitunter dokumentarisch anmutenden und eindeutig überspitzten Sequenzen zu verwirren, schmeckt nicht jedem. Und doch formt sich aus diesem Puzzle ein Gesicht des Krieges, das ebenso hässlich wie beängstigend ist.
Info: „Donbass“ (Ukraine 2018), ein Film von Sergei Loznitsa, Kamera: Oleg Mutu, mit Boris Kamorzin, Valeriu Andriuta, Tamara Yatsenko u.a.,121 Minuten, OmU.
Jetzt im Kino