Filmtipp „Das letzte Mahl“: Hitler sitzt mit am Tisch
Den Freudentaumel der Nazis nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 kommentierte der Maler Max Liebermann mit dem Satz „Ick kann jar nich soville fressen, wie ick kotzen möchte“. Tatsächlich war die Resonanz der sogenannten Machtergreifung unter den Juden Deutschlands weitaus vielschichtiger, wie der Historiker Saul Friedländer in seinem überragenden Werk „Das Dritte Reich und die Juden“ nachgewiesen hat. Die Sehnsucht nach einem „starken Mann“, der nach Jahren mit ständig wechselnden Regierungen „Ordnung schafft“ und die Begeisterung für eine auf „Rassereinheit“ begründete Ideologie gab es auch unter jenen, die von der braunen Bewegung als Todfeinde betrachtet wurden. Gleichzeitig fanden zionistische Visionen und der Gedanke ans Exil im Westen angesichts der wachsenden Gefahren von Rechts seit Jahren großen Zulauf. Und doch: Was nach 1933 folgen sollte, konnte sich niemand vorstellen.
Vor diesem Hintergrund muss man Florian Frerichs Langfilmdebüt sehen. Darin begegnen wir auch Liebermann und seinem berühmten Zitat, wenn auch in anderem Kontext. Die Handlung ist rasch erzählt: Am Abend des 30. Januar kommt die fiktive Familie Glickstein zusammen, um die Reste des Geburtstagsessens für Großvater Jakob zu verspeisen. Doch rasch verfliegt die Hochstimmung. Kaum jemand hatte erwartet, dass Reichspräsident Paul von Hindenburg dem „Trommler“ den Weg in die Reichskanzlei ebnen würde. Dieser Schock setzt bei Tisch viele Energien frei und fördert manch eine Überraschung zutage. Jakobs 19-jährige Enkelin Leah etwa will ins „Land der Väter“ nach Palästina.
Wahrheiten wackeln
Ihr Bruder Michael wiederum kann es kaum erwarten, zu den braunen Horden zu stoßen, die in diesen Stunden mit Fackeln durchs Brandenburger Tor marschieren. Glaubt der Hitler-Fan allen Ernstes, in diesen Kreisen akzeptiert zu werden? Damit nicht genug, gerät auch noch das nicht näher beschriebene Unternehmen der Glicksteins in die Krise. Familienoberhaupt Aaron, Jakobs Sohn, entgleiten in dieser in mehreren Kapiteln (zwischen Vorsuppe und Nachtisch) ausgebreiteten Erzählung vielerlei für sicher geglaubte Wahrheiten und Überzeugungen. Zum Beispiel sein Vertrauen in die „Weitsicht“ Hindenburgs. Aber auch sein Bild von sich selbst bekommt Kratzer.
Eingefangen wurde die mit vielen zeittypischen Details gespickte Szenerie überwiegend in einer Potsdamer Villa. Doch von Opulenz keine Spur: In dieser weitgehend kammerspielartigen und letztendlich sehr zurückgenommen in Szene gesetzten Situation stehen die oftmals leidenschaftlich geführten Dialoge zwischen zehn Menschen an einem Tisch im Mittelpunkt. Immer wieder wird um Grundsätzliches gestritten. Dass manche Gesprächssequenzen etwas hölzern daherkommen und einige Figuren blass bleiben, ist so bedauerlich wie erstaunlich. Schließlich ist diese ohne jegliche staatliche Förderung entstandene Low-Budget-Produktion mit Michael Degen (Jakob), Bruno Eyron (Aaron) oder Adrian Topol (als Aarons Bruder Daniel) und anderen gestandenen Darstellerinnen und Darstellern hervorragend besetzt. Mitunter hat das in nur zwölf Drehtagen entstandene Werk etwas Gehetztes.
Zeichen gesetzt
Trotz der ästhetischen Schwächen regt „Das letzte Mahl“ zum Nachdenken an: Der englische Verleih-Titel „Last Supper“ erinnert – nicht zuletzt angesichts der wenig später einsetzenden, staatlich organisierten Judenverfolgung – an eine Henkersmahlzeit. Oder zumindest daran, dass nach diesem Abend im Hause Glickstein, wie für sämtliche Juden in Deutschland, nichts bleiben wird, wie es war. Diese Facette wird dem Publikum wiederum vergleichsweise subtil nahegebracht.
Frerich versteht sein unter anderem beim Washington Jewish Film Festival gezeigtes Drama in Zeiten des erstarkenden Rechtspopulismus als Weckruf. Die Botschaft kam offenbar an. Um ein Zeichen gegen Rechts zu setzen, sind bundesweit 130 Kinos einem Aufruf gefolgt, den Film am 30. Januar, also 86 Jahre nach Hitlers Aufstieg zur Macht, in der Hauptvorstellung zu zeigen.
Info: „Das letzte Mahl“ (Deutschland 2017), ein Film von Florian Frerichs, mit Bruno Eyron, Michael Degen, Sharon Brauner, Adrian Topol u.a., 83 Minuten.
Kinostart: 30. Januar