Film „Der Helsinki Effekt“: Eine satirische Würdigung der Diplomatie
Die vor bald 50 Jahren unterzeichnete KSZE-Schlussakte gilt als Meilenstein der Diplomatie. Mit reichlich Humor blickt der Dokumentarfilm „Der Helsinki Effekt“ hinter die Kulissen des Verhandlungsmarathons zwischen Ost und West.
Rise And Shine Cinema
Gelöste Stimmung: US-Präsident Gerald Ford (links) und der sowjetische Staats- und Parteichef Leonid Breschnew am Rande der KSZE-Verhandlungen in Helsinki.
War sich Leonid Breschnew über die Tragweite des Dokuments im Klaren, das er am 1. August 1975 in Helsinki unterschrieben hat? Zeitgenössische Fernsehbilder zeigen, wie ein sichtlich zufriedener Staats- und Parteichef der Sowjetunion behäbig seinen Namen unter die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE, mittlerweile OSZE) kritzelt.
Was Leonid Breschnew kaum geahnt hat
Breschnew hatte erreicht, was er wollte: Die Unverletzlichkeit der nach dem Zweiten Weltkrieg neu gezogenen Grenzen in Europa war nun endlich festgeschrieben. Und damit auch die sowjetische Einflusszone von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Dass ein anderes Paket des Vertragswerks entscheidend dazu beigetragen würde, Moskaus Imperium von innen zu erschüttern, ahnte er wohl kaum.
Bald 50 Jahre ist es her, dass die blockübergreifende Versammlung von 35 Staaten in Finnlands Hauptstadt ein Ende fand. Der Dokumentarfilm „Der Helsinki Effekt“ blickt zurück auf eine Sicherheitskonferenz, deren Wirkung lange umstritten war und heute als wichtiger Schritt hin zur Entschärfung der Ost-West-Konfrontation angesehen wurde. Sie gilt als elementarer Bestandteil von Europas Sicherheitsarchitektur. Letztere ist angesichts eines aggressiven Russlands allerdings nahezu obsolet geworden.
Der finnische Dokumentarfilmer Arthur Franck ruft ein angesichts der gegenwärtigen Weltlage weithin vergessenes politisches Phänomen in Erinnerung: Dass Staatslenker*innen, die einander als Gegner oder sogar Feinde betrachten, miteinander verhandeln, und das womöglich sogar erfolgreich und obendrein in einer gelösten Atmosphäre. Sein Film zeigt, wie scheinbar unüberwindbare Gegensätze auf dem, wenn auch schier endlosen, Verhandlungsweg, überwunden werden konnten.
Von Helsinki zum Mauerfall
Am Ende haben die Sowjets akzeptiert, dass auf Druck des Westens Passagen zur Garantie von Menschenrechten und zur Erleichterung humanitärer Fragen in den Vertrag aufgenommen wurden. Später beriefen sich Menschenrechtsaktivist*innen im Ostblock, insbesondere die „Helsinki-Gruppen“, darauf und brachte ihre diktatorischen Regierungen in Legitimationsnöte. Womöglich wären Zäsuren wie die Gründung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc ohne den Effekt von Helsinki ausgeblieben. Franck sieht sogar eine Verbindung zum Mauerfall 1989.
Um diese hohe Kunst der Diplomatie näher zu beleuchten, blickt der Film immer wieder hinter die Kulissen. Die mitunter ausschweifenden Reden im Plenum (Rumäniens Staatschef Nicolae Ceaucescu sprach geschlagene 35 Minuten), sondern Gespräche im kleinen Kreis, sodass ein ganz anderes Bild entsteht. Im Mittelpunkt steht der Austausch zwischen der sowjetischen und der US-Seite.
Darin gab es offenbar viel Raum für Humor, aber auch für politisch unkorrekte Äußerungen. „Die Konferenz kann niemals mit einem sinnvollen Dokument enden, meinetwegen können sie es in Suaheli schreiben“, raunt ein demonstrativ desinteressierter US-Außenminister Henry Kissinger der anderen Seite zu. In seinen Memoiren fällt er später ein ganz anderes Urteil über die Schlussakte.
Möglich wurden diese Einblicke durch Abschriften der Gespräche in den Hinterzimmern. Franck ließ sie durch KI einsprechen, erweckte sie und die Gesprächspartner dadurch gewissermaßen zum Leben. Viele der pointiert ausgewählten Gesprächsfetzen lassen einen schmunzeln, mitunter tritt der Regisseur beziehungsweise der seine Rolle übernehmende Off-Sprecher (in der deutschen Fassung ist dies der Schauspieler Bjarne Mädel) sogar mit ihnen in den Dialog, kommentiert und hinterfragt ihr Verhalten sowie ihre (spätere) Selbstdarstellung, die auf den oft bemühten Platz in den Geschichtsbüchern abzielte.
Schlafende Delegationsmitglieder und Breschnew in Bademode
Der Film ist eine Hommage an jenen Verhandlungsmarathin und seine Folgen. In Form und Tonalität dominiert dennoch eine humoristisch-satirische Note. Gerade das macht diesen Film über eine komplexe Materie so unterhaltsam, aber auch erhellend. Die lakonische Komik ergibt sich oftmals aus dem Bildmaterial selbst, das auch banale oder nahezu groteske Seiten des Geschehens und seiner ausschließlich männlichen Protagonisten nicht ausspart. Seien es etwa schlafende Delegationsmitglieder im Plenarsaal oder ein „privater“ Breschnew in Bademode.
„Der Helsinki Effekt“ konzentriert sich weitgehend auf den Auftakt und das Ende der Verhandlungen in Finnland. Mitunter lässt die Erzählung einen roten Faden vermissen. Dennoch ist dieser Blick zurück und auf eine „andere Wahrheit“ hinter dem auch medialen Großereignis sehr lohnend. Die witzigen Nuancen sind ein gutes Mittel gegen die Wehmut, die sich beim Betrachten des Films unweigerlich einstellt.
„Der Helsinki Effekt. Eine bedeutungslose Konferenz, die alles verändert hat“ (Finnland, Norwegen, Deutschland 2025), ein Film von Arthur Franck, 89 Minuten.
Kinostart: 12. Juni. Weitere Informationen unter riseandshine-cinema.de