Wer sagt da was? Wer hat was über wen berichtet und was bedeutet das für den Gang der Handlung? Um welche Handlung geht es überhaupt?
Die Sätze scheinen sich zu überschlagen. Da teilen Leute einander etwas mit. Was das für welche sind, müssen wir aus dem Gesagten entschlüsseln. Außerhalb der Rede gibt es zunächst nichts:
Weder führt uns ein Ich-Erzähler (oder eine Ich-Erzählerin) ins Geschehen hinein, noch macht uns ein auktorialer, allwissender Erzähler mit Ort, Situation und Personen vertraut.
Es gibt nur diese Gesprächsfetzen. Sie sind das Ehrlichste, was der Autor zu geben vermag. Er suggeriert nicht, wirklich verstanden zu haben, was passiert ist. Vielmehr offenbart er sich als
vom Geschehen selbst Betroffener.
Es ist eine sehr moderne Weise des Erzählens, die Peter Nádas in seinem jüngsten Buch nutzt. Mit hastigen Sätzen versucht er, den Rhythmus einer Zeit einzufangen, in der in Ungarn die
Landwirtschaft kollektiviert wurde und in der ein der Kommunistischen Partei Ungarns angehörender, über viele Jahre geachteter Schuldirektor - plötzlich zum Opfer von Denunziationen geworden - vom
Dienst suspendiert wird.
Endlosgespräch
Die Helden des Autors geraten in einen Strudel schnell zu treffender oder über sie getroffener Entscheidungen. In der ersten, ein Endlosgespräch mit verschiedenen Akteuren markierenden
Geschichte taucht ein Journalist auf. Abrissartig protokolliert er Satzfetzen aus seinen Gesprächen mit Bauern, Lehrern, aus dem Amt entlassenen Partei- und Staatsfunktionären. Das Ganze hat etwas
Kafkaeskes. Die Befragten wissen um die Ursachen des Geschehens, dessen Folgen sie selbst zu tragen haben. Sie teilen etwas dazu mit, als wäre es selbstverständlich. Meinen, dass auch der
Journalist wissen müsste, wer was verursacht hat, weshalb er nur bis zu einem bestimmten Punkt fragen dürfe. Er geht den Denunziationen nach, kann Betroffenen helfen. Sein Artikel allerdings
erscheint nicht. Stattdessen wird nun anonym ein erster denunziatorischer Brief über ihn verfasst.
Zeitgeschichtliches
"Liegengebliebene Aufzeichnungen eines Provinzjournalisten" heißt dieser erste Report. Darauf folgen "Spurensicherung", "Parasitäre Systeme", "Heute" und "Die Haut retten. Gespräche über
Widerstand und Kollaboration".
Die in das Buch hinein gestreuten Bilder (Fotos des Autors) verstärken den Eindruck des Authentischen, Zeitgeschichtlichen. Das ist Absicht, denn es handelt sich - insbesondere in der
Geschichte "Spurensicherung" tatsächlich um die Veröffentlichung von Notizen. Die wurden hastig festgehalten und ausgetauscht. Es war gefährlich, über sie zu verfügen.
Bestürzend ist es zu lesen, wie von der Idee des Kommunismus überzeugte Menschen, die im 2. Weltkrieg für ihr Land gegen den Faschismus gekämpft hatten, plötzlich von den eigenen Genossen
verfolgt werden. Das Ganze ist auch aus heutiger Sicht nur schwer zu begreifen. Die literarische Form entspricht dem und auch der - auf die zweite Geschichte zurückgehende - Titel . Ein Gesamtbild
ist nicht beabsichtigt. Es kann hier noch nicht gegeben werden.
Dorle Gelbhaar
Peter Nádas: "Spurensicherung", Berlin Verlag, 170 Seiten 18,00 Euro, ISBN 978-3-8270-0759-9
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