Family Business – Der geteilte Alltag
Liebevoll umsorgt und noch dazu in den eigenen vier Wänden: Wer träumt nicht von dieser Art, alt zu werden? Doch was tun, wenn ältere Angehörige pflegebedürftig und dement werden? Um ihren Lieben den Umzug ins Heim zu ersparen, greifen viele Familien in Deutschland auf häusliche Betreuer zurück. Etliche von ihnen sind aus dem Ausland zugewandert, Schätzungen gehen von 100.000 bis 200.000 Menschen aus. Angesichts des demografischen Wandels und des hiesigen Fachkräftemangels dürften die Zahlen weiter steigen: eine Branche mit Zukunft!
Doch was macht es mit den erwachsenen Kindern und dem Elternteil, wenn sie plötzlich zum Arbeitgeber werden? Und was bedeutet es für die zugereiste Betreuerin, sich aus ihrem alten Kontext vorübergehend zu verabschieden und Teil eines anderen zu werden? Schon in mehreren Filmen hat sich die Regisseurin Christiane Büchner mit dem Wandel der Gesellschaften im östlichen und westlichen Europa beschäftigt. In „Family Business“ verbindet sie die Entwicklung in Polen exemplarisch mit der in der Bundesrepublik. Der Film erzählt davon, wie sich die Strukturen der einen Familie verändern, um die einer anderen zu stärken.
Arbeitsmigration von Familie zu Familie
Im Mittelpunkt stehen die 40-jährige Jowita und die 88-jährige Anna. Nach dem Tod ihres Mannes braucht die von zunehmender Demenz gezeichnete Anna Unterstützung jeglicher Art. Ihre Töchter springen immer wieder ein, doch für eine ständige Begleitung der Mutter fehlt ihnen die Zeit. Über eine Agentur engagieren sie Jowita, die für zwei Monate nach Bochum geht und sich fortan mit einer Kollegin abwechselt. Ihre 13-jährige Tochter und ihren Mann lässt sie zurück.
Die Annäherung zwischen den beiden Frauen erweist sich als kompliziert, nicht nur wegen der Sprachprobleme. Die alte und weltgewandte Dame war es gewohnt, zu bestimmen. Nun ist sie auf fremde Hilfe angewiesen und verliert zunehmend den Bezug zur Realität. Was sie nicht davon abhält, klare Vorstellungen davon zu haben, wie der Haushalt zu führen ist. Und diese auch zu äußern. Dass Jowita die Sehnsucht nach Hause plagt, macht die Sache nicht einfacher. Telefonate und Skype können Normalität simulieren, aber eben nicht ersetzen. Sind die gegenseitigen Animositäten wirklich unüberwindbar? Gelingt es Anna, die fremde Frau in ihr Leben einzuordnen? Alles scheint auf eine Konfrontation hinauszulaufen.
Klischees werden entkräftet
Dennoch erleben wir auch – mitunter überraschende – Momente der Nähe. Büchner zeichnet ein intimes Porträt vom zähen Alltag ohne jeden Voyeurismus. Somit bleibt stets genügend Raum, um das psychologische Wechselspiel zwischen den Protagonistinnen, aber auch die Einflüsse der Außenwelt zu skizzieren. Das gilt besonders für die wirtschaftliche Seite des Themas: Daheim, nahe Wroclaw (Breslau), warten Jowitas Lieben in einem halbfertigen Haus, besser gesagt: in einer Dauerbaustelle, denn lange Zeit war das Geld knapp und manche Investition musste warten. Der Verdienst der Mutter soll das Projekt Eigenheim beschleunigen. Somit erfahren die Zuschauer auch, wie das Leben dort, wo Jowita eine Lücke gerissen hat, weitergeht. Wie hoch ist der Preis, den die drei für dieses Leben zahlen?
„Family Business“ zeichnet die Probleme und Nöte zweier Mittelklassefamilien nach, die durch die Arbeitsmigration zusammengeführt werden. Angesichts mancher Debatten über zugewanderte Arbeitskräfte kann dieser Film manches dazu beitragen, um Klischees zu entkräften: Nicht blanke Armut, sondern Pragmatismus führt Jowita ins Ruhrgebiet. Eine Haltung, die sie mit Annas Töchtern, die ihr den Job besorgt haben, teilt. Vor allem aber ist zu erleben, welcher Mittel sich Menschen bedienen, um den Bedürfnissen der Familie gerecht zu werden. Es geht um die Frage: Was verliert und was gewinnen Menschen, die Jowitas Weg gehen? Wie viel Ausbeutung und Selbstausbeutung bringt diese Art der Beschäftigung mit sich?
Letztere scheint für Jowita – ob gefühlt oder tatsächlich – immens zu sein. Demenz als Drama, wenn nicht gar als Tragödie, auch dieser Aspekt ist vor der Kamera zu erleben. Behutsam lässt uns Büchner am zunehmenden Niedergang Annas teilhaben, ohne eine klare Richtung vorzugeben. Auch daraus speist sich die Spannung, die angesichts einer, von außen betrachtet, relativen Ereignislosigkeit fast schon überrascht. Büchner hat den Ertrag aus den einjährigen Dreharbeiten zu einer atmosphärisch dichten Erzählung eingedampft, die weniger von einer wissenden als von einer beobachtenden Warte ausgeht. Keine Frage: Hier ist allein die Begegnung zwischen den beiden so verschiedenen Frauen Ereignis genug.
Info: Family Business (D 2015), ein Film von Christiane Büchner, Sprachen: Deutsch/Polnisch (mit Untertitel), 89 Minuten. Jetzt im Kino