Selbst wenn jemand trotz Hauptschulabschlusses und Migrationshintergrund Karriere macht, gibt er allzu oft zu, "nur" auf der Hauptschule gewesen zu sein. Die Podiumsteilnehmer forderten mehr
Förderung von Kindern nichtdeutscher Herkunft. Prof. Haci-Halil Uslucan mahnte eine ethische Haltung von Lehrern an. Sie sollten alle Kinder gleich behandeln, um zu gewährleisten, dass diese später
auch gleiche Chancen haben. Das seit Jahren vorherrschende Defizit rühre von einem "kulturdeterministischen Weltbild" her. Das führe zu schnellen Analogieschlüssen und damit zu Vorurteilen. "Es
werde kaum reflektiert: Was mache ich eigentlich mit diesem Menschen?", sagte Uslucan. "Migranteneltern spüren diese krasse Nichtgleichwertigkeit. Sie werden nicht auf Augenhöhe behandelt und
machen letztendlich dicht gegenüber der deutschen Gesellschaft", so Uslucan.
Dringend notwendig sind Uslucan zufolge mehr Kommunikation zwischen Lehrern und Eltern. Ein heikles Thema für viele türkische und arabische Eltern sei beispielsweise die Teilnahme ihrer
Töchter am Schwimmunterricht und an Schulreisen. Da solle man offen sagen, dass man schon auf ihre Kinder "aufpassen" werde. "Die Eltern müssen spüren, dass auch die Lehrer sensibel sind", erklärte
Uslucan. Verstehen bedeute nicht Einverstandensein mit der Einstellung zur Sexualität, sei aber die Voraussetzung offener Kommunikation.
Individueller Ansatz in Dänemark - Achtung des Individuums in seiner Unterschiedlichkeit
Prof. Flügge wies auf eine Bildungsstudie in Dänemark hin , wo explizit diese Asymmetrie auch im dänischen Bildungssystem festgestellt wurde: Mit dänischen Kindern haben die Pädagogen
gleichberechtigter geredet als mit türkischen. Abhilfe versprach sich das dänische Bildungssystem mit "Lehrplänen", die bereits im ersten Lebensjahr beginnen. Ab dem 3. Lebensjahr unterteilt der
"Lehrplan" in "bedrohte Kinder" und Kinder mit Sprachdefiziten, so dass je nach Bedarf Gesundheitspfleger für Familien oder Sprachberater eingesetzt werden.
Die dänische Methode ist eine ganzheitliche pädagogisch-psychologische Beratung, die nicht frage, was das Kind nicht kann, sondern wie man seine Ressourcen am besten entwickle. Mit dieser
"inkludierenden Pädagogik" könne es gelingen, die negative soziale Ebene zu durchbrechen. Prof. Flügge beschreibt vier Lernwege:
- Lernen durch Nachahmen in der Familie
- Lernen in sozialen Gemeinschaften in der KITA/Krippe
- Lernen auf eigene Faust im Studium
- Dialogisches Lernen in Gruppen
Erste Bildungserfolge zeigten sich schon: Letztes Jahr habe es mehr Migrantenkinder mit einer Fachausbildung gegeben als dänische Kinder. Flügge beschrieb darüber hinaus einen
"sozialpädagogischen Paradox" auch Dänemarks: Je besser sich Erzieher ausbilden lassen, desto mehr entfernen sie sich von der direkten Arbeit mit den Kindern. Konsequenz sei, dass hauptsächlich die
einfach ausgebildeten Erzieher die Interaktion bewerkstelligen.
Integration erfordert Handlung
Christiane Börühan sagte zum deutschen Bildungssystem: "Ich bin froh, wenn meine Kinder das deutsche Schulsystem überleben. Wir wissen, was die Kinder brauchen, machen aber Dinge, die ich
nicht verstehe. Vieles wird nicht umgesetzt. Wir Deutsche denken zu kompliziert."
Aber kleine Erfolge sind allmählich sichtbar: Zum Beispiel das Pilotprojekt "Stadtteilmütter in Neukölln". In einem 6-monatigen Kurs werden dort arbeitslose Mütter nichtdeutscher Herkunft in
Erziehungs-, Bildungs- und Gesundheitsfragen ausgebildet. Sie besuchen anschließend Familien ihrer Communities, um diese aufzuklären. Das hat inzwischen Dänemark übernommen, berichtete Maria
Macher.
Viele Wege führen nach Rom
Natürlich gibt auch einige wenige Migrantenkinder, die trotz dieser Mängel Akademikerkarrieren gemacht haben, weil sie Resilienz besitzen. Eine große Stärke - eine Widerstandskraft -, die aus
einer stabilen Mutter-Kind-Beziehung herrühre, trug Uslucan vor.
Es gehe bei all diesen Modellen genau genommen nur darum, dass Selbstwertgefühl der Kinder zu aktivieren, unterstrich Flügge. Damit werde der Grundstein gelegt, den Anforderungen der Zukunft
mit offenen Sinnen begegnen zu können. In Dänemark gelte schon längst die Tradition: Unser Gold - unser Bodenschatz sind die Kinder.
Selda Göktas
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