Kultur

Eine unideologische Erörterung

von Dagmar Günther · 11. Oktober 2007

Die angenehm sachliche Darstellung ist sicher der Tatsache geschuldet, dass die Herausgeber beide auf dem Gebiet der Demographie forschen. Michaela Kreyenfeld als Junior-Professorin für Ursachen und Konsequenzen des demografischen Wandels am Institut für Soziologie der Universität Rostock, Dirk Konietzka als Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock.

Gefragt wird zunächst danach, von welchem Zahlenmaterial ausgegangen werden könne und wie sich das Phänomen der Kinderlosigkeit prozentual zu vorhergegangenen Zeiten bzw. zu anderen Ländern ins Verhältnis setzen lässt. Die Autoren prüfen sorgfältig, was die Statistiken tatsächlich besagen. So etwa, wenn sie feststellen, dass in Deutschland nur die Zahl der jeweils im Haushalt lebenden Kinder erfragt wird, die nicht zwangsläufig identisch mit der Zahl der geborenen Kinder ist. Oder wenn es zum Beispiel nur Schätzungen gibt, wie hoch etwa der Anteil der Akademikerinnen an den Kinderlosen ist,. Und auch die Frage, inwieweit Kinderlosigkeit gewollt oder ungewollt ist, nur annäherungsweise beantwortet werden kann.

Gewollt oder ungewollt

Kreyenfeld und Konietzka wollen den bisherigen Subjektivismen nicht weitere hinzufügen. Es ist jedoch ihr Anliegen, herauszufinden, was den augenscheinlichen Geburtenrückgang in Deutschland tatsächlich bewirkt. Und wie gegengesteuert werden kann. Das Buch operiert mit Tabellen und Analyseergebnissen. So kann gut nachvollzogen werden, wie welche Position zustande kommt.

Gewollte und ungewollte Kinderlosigkeit werden hinterfragt und prozentual zueinander ins Verhältnis gesetzt. Auch die Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse (Ost und West) wird hierbei in Betracht bezogen und darauf geschaut, was sich wie ausgewirkt hat.

Als allgemeiner Trend erweist sich die Tatsache, dass Unsicherheit hinsichtlich der sozialen Verhältnisse viele junge Menschen zu späterer Familiengründung und zum Verschieben des Kinderwunsches veranlasst. Nicht selten ist später dann zu spät, so dass es aus biologischen Gründen nicht mehr zur Erfüllung des Kinderwunsches kommt.

Deutschland habe hier größere Probleme als andere westeuropäische Länder, so die Autoren. Beruf und Familie seien hier schwerer vereinbar. Existenzielle Probleme könnten sich gravierend potenzieren. Letzteres führe zu sozialen Ängsten, die nicht nur eine Schicht der Gesellschaft betreffen. Auch das moderne bürgerliche Geschlechterverhältnis gehe von Asymmetrien in ökonomischer Position und familiärer Arbeitsteilung zuungunsten der Frauen aus.

Eine akademische Laufbahn von Frauen wäre in der DDR seltener an das Phänomen der Kinderlosigkeit gekoppelt gewesen als in der BRD. Auch heute lasse sich in den neuen Ländern insgesamt noch ein etwas größerer Wunsch bei bisher kinderlosen Frauen nach Kindern feststellen. Das prozentuale Verhältnis von gewollter zu ungewollter Kinderlosigkeit fällt dementsprechend unterschiedlich aus.

Die Spitzenposition Deutschlands in puncto Kinderlosigkeit zeigt sich als ein Phänomen, das nicht außerhalb allgemeiner sozialer Entwicklungen betrachtet werden kann. Der Erfolg versprechende Weg dürfte jedenfalls auch diesem Buch zufolge nicht in einer stärkeren Festschreibung von Frauen auf häusliche Rollenbilder zu suchen sein.

Dorle Gelbhaar

Konietzka, Dirk / Kreyenfeld, Michaela (HG): Ein Leben ohne Kinder. Kinderlosigkeit in Deutschland", Vs Verlag 2007, 429 Seiten, 34,90 Euro, ISBN 978-3-531-14933-2

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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