Kultur

Eine neue Sicht auf den Krieg

von Carl-Friedrich Höck · 19. September 2014

Die ARD, Arte und das ORF haben Tagebücher aus dem Ersten Weltkrieg verfilmt. Es ist ein bisher einzigartiges Projekt. Das Doku-Drama zeigt die Schrecken des Krieges aus der Perspektive einfacher Menschen aus allen beteiligten Ländern. 

Die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg ist in Deutschland überlagert von den Grauen des zweiten. Das Attentat von Sarajevo, der Grabenkrieg an der Westfront und der Zusammenbruch des Kaiserreiches 1918 – viel mehr wird auch im Geschichtsunterricht hierzulande selten thematisiert. Dass 40 Staaten an den Schlachten beteiligt waren, ist wohl nur noch wenigen Deutschen bewusst. Viele Länder pflegen heute eine eigene, nationale Sichtweise auf den Ersten Weltkrieg. So wie Frankreich, in dessen Erinnerungskultur der „Große Krieg“ einen zentralen Platz einnimmt.

Auch deshalb ist das deutsch-französische Doku-Drama „14. Tagebücher des Ersten Weltkriegs“ ein besonders Projekt. Die Macher haben sich vorgenommen, die klassischen nationalen Erzählungen vom Krieg zu durchbrechen. Die Fernsehserie eröffnet einen transnationalen Blick auf die Ereignisse von 1914 bis 1918. Sie soll in zahlreichen Ländern ausgestrahlt werden, darunter Frankreich, Großbritannien und Italien.

Verfilmt wurden die authentischen Tagebücher von 14 Menschen aus acht verschiedenen Ländern. Der Zuschauer sieht die 14-jährige Russin Marina Yurlova, die ihrem Vater, einem Oberst der Kosaken, in den Krieg folgen will. Und den 48-jährigen Journalisten Charles Edward Montague, den nach Kriegsausbruch die Abenteuerlust packt, weshalb er freiwillig in die britische Armee eintritt.

Die Zerrissenheit der Sozialdemokratie

Zu den Protagonisten gehört auch die deutsche Künstlerin Käthe Kollwitz. Wie viele andere lässt sie sich von der patriotischen Kriegsstimmung im August 1914 beeinflussen und erlaubt ihrem minderjährigen Sohn, als Freiwilliger in den Krieg zu ziehen. Sie hängt sogar die schwarz-weiß-rote Flagge des Kaisers aus dem Fenster – bis dahin undenkbar für die bekennende Sozialdemokratin.

„Es geht konsequent um Einzelschicksale, aber was erzählt wird, hat auch immer eine allgemeine Bedeutung“ sagt der Historiker Oliver Janz, der das Projekt fachlich beraten hat. So stehe Käthe Kollwitz für die damalige Zerrissenheit der Sozialdemokratie insgesamt. Die internationale Solidarität zwischen den sozialistischen Parteien brach nach dem Kriegsausbruch zusammen. Die deutschen Sozialdemokraten stimmten im Reichstag Krediten für einen Krieg zu, den sie eigentlich hatten verhindern wollen. Der Regisseur der Serie, Jan Peter, erklärt: Kollwitz sei erst im Verlauf des Krieges zu der glühenden Pazifistin geworden, als die man sie heute kennt.

Trailer

Dieser Krieg war anders

Es ist ein zentrales Element der TV-Serie, dass sie durch beeindruckende, oft erschütternde Szenen aufzeigt, wie eine ganze Generation ihre romantischen Vorstellungen von edlem Kriegsheldentum verloren hat. Der Erste Weltkrieg war kein Krieg der Helden, sondern eine gewaltige Materialschlacht. Auch Soldaten waren nicht mehr als Material. Zu tausenden und abertausenden wurden sie in aussichtslose Kämpfe geschickt und den neuen, modernen Waffen zum Fraß vorgeworfen.

Als ein „Kaleidoskop von Menschen und Gefühlen, die sich in einen Krieg haben hineinreden lassen“ beschreibt der NDR-Programmdirektor Frank Beckmann die Serie. Auf Authentizität legten die Produzenten besonderen Wert. Die Schauspieler sprechen in den Originalsprachen der jeweiligen Länder. Ihre Sätze werden mal untertitelt, mal per „voice over“ übersetzt. „Für die Zuschauer ist das sperrig“, sagt Beckmann, „aber es war uns wichtig.“ 

Die Serie gibt dem Krieg Gesichter

Sperrig wirken auch die häufigen Sprünge zwischen den Geschichten der 14 Protagonisten, die zusätzlich durch Zitate aus weiteren Tagebuchaufzeichnungen und Briefen unterbrochen werden. Und doch zieht die Serie den Zuschauer in ihren Bann. Sie gibt dem Krieg Gesichter. Gesichter von einfachen Menschen, deren Leben durch den Krieg auf den Kopf gestellt wird. Kunstvoll werden die vielen kleinen Episoden mit alten Originalaufnahmen verwebt. Für den Betrachter wirkt es, als springe er durch Raum und Zeit an die Schauplätze der ersten großen Katastrophe des 20. Jahrhunderts.

Es ist ein Projekt, das den Ersten Weltkrieg zurück ins Bewusstsein der Deutschen holen könnte – und ihn zugleich völlig neu erzählt. Schade, dass die ARD nur eine gekürzte Version zeigt, die zudem am späten Abend wenig Zuschauer finden dürfte. Umso mehr sei auf arte verwiesen. Dort läuft die komplette Fassung der Serie ab diesem Dienstag zur Primetime.

Info:

„14. Tagebücher des Ersten Weltkriegs“
Doku-Drama, 2014, produziert von arte/Das Erste/NDR/SWR/WDR/ORF

Ausstrahlung auf arte (acht Teile):

Folgen 1-2: Dienstag, 29. April 2014, ab 20:15 Uhr
Folgen 3-5: Dienstag, 6. Mai 2014, ab 20:15 Uhr
Folgen 6-8: Dienstag, 13. Mai 2014, ab 20:15 Uhr 

Ausstrahlung auf ARD (gekürzte, vierteilige Fassung):

Folgen 1-2: Dienstag, 27. Mai 2014, ab 21:45 Uhr
Folgen 3-4: Mittwoch, 28. Mai 2014, ab 21:45 Uhr

Zur Internetseite des Projekts geht es hier

Ein Making-of der Serie können Sie sich hier ansehen.

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Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

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