Kultur

Eine „kesse Entscheidung“

von Bernhard Spring · 25. Oktober 2010
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Er kam, sah - und irritierte. Als Udo Lindenberg, die Spuren der vier Jahrzehnte Panikorchesterleitung wie immer hinter Hut und Sonnenbrille verbergend, am Nachmittag in der Kasseler Stadthalle erschien, grinste er die Organisatoren offen an. "Guten Morgen. Is ja noch früh am Tag", nuschelte er, aber: "Für so einen Anlass kann man auch mal früh aufstehen."

"Keine Panik, alles easy und so"
Dann erklärte Laudator Matthias Matussek die Verdienste Lindenbergs um die deutsche Sprache, die dem Sänger bereits zahlreiche andere Auszeichnungen eingebracht haben, unter anderem das Bundesverdienstkreuz 1989 und zuletzt die Carl-Zuckmayer-Medaille 2007. Seine Lieder haben gezeigt, dass Rockmusik auch in deutscher Sprache erfolgreich sein kann. "Udo Lindenberg hat aus der deutschen Sprache sein Ding gemacht", bemerkte Matussek. Lindenberg trat vor, gab einige seiner bekannten Sprachfetzen zum Besten ("Keine Panik, alles easy und so") und bedankte sich mit einem flotten Ständchen, wobei auch sein Gassenhauer "Horizont" anklang.

Es mag überraschend anmuten, dass ausgerechnet Lindenberg, der mit der deutschen Sprache "wie mit einem Kaugummi" jongliert, trotz aller denglischen Wortspiele und einiger englischsprachigen Alben für seine Art der Sprachpflege ausgezeichnet wird. Als politischen Rocker ist er bekannt, als hoffnungsloser Romantiker und Verkünder der unverbrüchlichen Freundschaft, ja, aber ein linguistischer Feingeist war Lindenberg nie. Wo andere sich eines Hochdeutschs bemühten, nöhlte er drauflos. Wo andere nach Worten suchten, blieben seine Texte bewusst schlicht und schnörkellos. Sätze wie "Wir wolln doch einfach nur zusammen sein" und "Nichts haut einen Seemann um" wurden so zu zeitlosen Parolen, die nicht erst erklärt werden mussten. Sie sprachen für sich selbst. Wenn Lindenberg eine Sprache pflegte, dann die der einfachen Menschen, die sich viel zu sagen, aber wenig zu reden haben. Deren Sprache hat er hörbar und zur Kunstform gemacht.

Erstmals ein Rockmusiker ausgezeichnet
Nicht ganz ohne Ironie gratulierte Lindenberg in Kassel "der Jury zu dieser kessen Entscheidung, erstmals einen Rockmusiker auszuzeichnen" - und traf damit voll ins Schwarze. Denn während Lindenberg in den letzten Jahren enorm an Aktualität gewonnen hatte - 2008 das Nummer eins-Album "Stark wie zwei" inklusive Tour, ab Januar 2011 das Musical "Hinterm Horizont" in Berlin - hatte die Verleihung des Jacob-Grimm-Preises sichtlich an Glanz verloren. Innerhalb von zehn Jahren hatte sich der mit 30.000 Euro höchstdotierte Sprachpreis Deutschlands an den Rand der Bedeutungslosigkeit gebracht. Nachdem Rolf Hochhuth (2001), Loriot (2004) und Paul Kirchhof (2005) den Preis erhalten hatten, ging er in den Folgejahren etwas lautloser an eher mittelmäßige Kandidaten, 2008 wurde er gar überhaupt nicht vergeben.

Dass nun der diesjährige Jacob-Grimm-Preis an Lindenberg verliehen wurde, kann also durchaus als "kess" empfunden werden, wohl aber auch als Imagepolitur, denn zu deutlich zeigt sich, dass hier nicht der Preis den Preisträger auszeichnet, sondern der Preisträger den Preis.

Autor*in
Bernhard Spring

erhielt 2008 den Literaturpreis des Landes Sachsen-Anhalt, 2011 erschien sein erster Roman, „Folgen einer Landpartie“.

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