Von schmerzender Härte ist das, was da behandelt wird. Aber Tanya Lieskes Stimme durchdringt seltsam hell und kindlich den mit Büchern und Menschen gefüllten schlauchförmigen Raum. Sie klingt,
als ginge es um Abenteuer in merkwürdiger Zeit, die beobachtet sein wollen. Eingelullt hätte er sich gefühlt, sagt einer später. Als ob der "Spion wider Willen" eigentlich ganz sympathisch
gewesen sei. Nein, das war nicht die beabsichtigte Wirkung. Die Autorin verweist auf Untiefen im Wesen des Protagonisten ihres Buches.
Die Qual der Annäherung
Die ganz persönliche Schwierigkeit: Dieser Protagonist ist ihr Großonkel Gustav Regitz. Und er hat im zweiten Weltkrieg, nachdem er im KZ Dachau Grauenhaftes durchlebt hat und fast daran
gestorben ist, für die Gestapo gearbeitet. Die eigenen Genossen, Menschen, die ihm vertrauten, verriet er. Das Buch hat Tanya Lieske lange beschäftigt: seit dem Jahr 2002. Eine persönliche
Beziehung habe sie zu ihrer Großtante gehabt, nicht zu ihrem Großonkel, betont sie. Aber das Geheimnis um ihn war es, das die Familie belastete und von dem sie erst mit 16 Jahren erfuhr. Die
Unzugänglichkeit eines Menschen, dem man sich aus welchen Gründen auch immer nähern möchte.
Das Wissen-Wollen. Das Nicht-Verstehen-Können. Aber dieses Verstehen brauchen, weil sonst etwas fehlt im Selbstverständnis. Das Erzählen vom Krieg war weiblich geprägt. Die Männer
schwiegen. Kann man da begreifen, wie wir zu dem wurden, was wir sind?
Der Bruch des Tabus
Auch Verschweigen prägt. Es lässt Tabuzonen entstehen. Ängste und Aggressionen wuchern. Auf den davon Betroffenen liegt dann eine Last, die der inneren Freiheit Grenzen setzt. Das
aufgebrochen zu haben, darin liegt die Leistung des Buches. Die wird an diesem Abend des 12. Juni 2009 in der Berliner Buchhandlung am Bayerischen Platz honoriert. "Ein tolles Buch", findet die
junge Lehrerin Jessica Kreitz, die mit 12 SchülerInnen ihres Leistungskurses aus Koblenz angereist ist und nun mit ihnen an der Lesung teilnimmt. Die Schüler und Schülerinnen gehören schon zur
nächsten Generation, für die der Krieg nur noch im raunenden Imperativ verhandelt wird. Für sie dürfte der Vortrag genau richtig gewesen sein. Nicht langweilig. Das Spannende der Handlung
betonend und das Differenzierte einer menschlichen Persönlichkeit offenbarend, die Opfer und Täter in einem ist.
Was ist erlaubt, was nicht
Der Lehrerin sagt auch die Verschränkung von Fiktivem und Authentischem im Buch zu. Sicher, wie sollen sonst Gedankenwelten nacherlebbar werden? Das Geschehene ist aktenkundig verbürgt. Das
Wie und Warum nicht. Das kann man sich nur hinzudenken. Die Publizistin, Autorin und Moderatorin des Deutschlandfunks in Köln, Tanya Lieske ist vom Fach. Sie weiß, wie man recherchiert, wie man
seinen Stoff präsentiert und wie man Lücken schließt.
Für alle, die in ihren Familien mit ähnlichen Problemen kämpfen, wie sie es tat, wäre es allerdings von Vorteil, wenn die persönliche Ebene der Rechercheurin als weiteres Medium der
Authentizität eine größere Rolle spielen würde. Dann nämlich wäre mitzuerleben, wie Interpretationen zur Gedankenwelt Gustav Regitz' entstanden, der Sozialist war, KZ-Insasse, Emigrant in
Frankreich und Spion der Gestapo und für den (dem Buch nach zu urteilen) die Liebe zu seiner Frau (der Großtante der Autorin) das gewesen sein muss, was ihn am Leben hielt.
Keine Zugluft mehr
Wie eine offen stehende Tür habe sie die Emigration, über die nicht gesprochen wurde, empfunden, berichtete die Autorin. Es hätte immer ein bisschen gezogen. Die Tür habe sie nun mit ihrem
Buch endlich geschlossen. Aber sie ist nicht wirklich zu.
Dorle Gelbhaar
Tanya Lieske "Spion wider Willen", Ein Droste Verlag GmbH Düsseldorf, 2009, 175 Seiten, 14,95 Euro, ISBN 978-3-7700-1333-3
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ist freie Autorin, Vorstandsmitglied des Verbands deutscher Schriftsteller im ver.di-Landesverband Berlin sowie stellvertretende Vorsitzende des Kulturwerks Berliner Schriftsteller e. V.