Kultur

Ein Spiegelbild der Gesellschaft

von Anton Maegerle · 23. Juli 2013

Die Aufsatzsammlung „Nie wird das Deutsche Volk seinen Führer im Stiche lassen“ dokumentiert  Abituraufsätze aus der Zeit des Nationalsozialismus. Die Aufsätze geben Einblicke in den Schulalltag des „Dritten Reichs“ und legen die Einflussnahme der Machthaber auf das Bildungssystem offen.

Der Berliner Historiker Bernhard Sauer (Jg. 1949) hat in seinem Buch „Nie wird das Deutsche Volk seinen Führer im Stiche lassen“ 16 Abituraufsätze des humanistisch geprägten Heese Gymnasiums in Berlin-Steglitz aus den Jahren 1934 bis 1942 zusammengestellt. Abituraufsätze sind, wie Sauer treffend schreibt, „ein Spiegelbild der Gesellschaft“. Sie geben in anschaulicher Weise wieder, was damals gedacht wurde oder gedacht werden sollte. Die Aufsätze sind authentische Dokumente der Geschichte und des Alltags aus der Sicht der Beteiligten.

Psychologisch auf den Krieg vorbereitet

Alle abgedruckten Abituraufsätze sind stark politisiert und haben die wesentlichen Themen der NS-Zeit aufgegriffen. Sie zeigen, dass die Bevölkerung – in diesem Fall die Jugend – seit Beginn der NS-Diktatur psychologisch auf den Krieg vorbereitet wurde. Zentrales Thema aller Aufsätze ist der Krieg, der in den Aufsätzen als unvermeintlich dargestellt wird. Schon in einem Aufsatz vom Januar 1934 ist vom Sterben für das Vaterland die Rede. „Natur ist Kampf. Kampf wird durch Sieg beendet“, steht in einem Aufsatz.

In einem anderen heißt es: „Wir sind bereit zu sterben, damit unser Deutschland lebt.“ Die Bereitschaft, das eigene Leben für das vermeintlich „hohe Ziel“ zu opfern, war ein grundlegendes Erziehungsziel der NS-Zeit. Mehrfach weist Sauer darauf hin, dass die NS-Erziehungsarbeit dabei an deutschnationale Traditionen anknüpfen konnte, wonach der Tod für das Vaterland als besondere Tugend betrachtet wurde. Opferbereitschaft und Todesverachtung galten in vielen gesellschaftspolitisch bedeutsamen Kreisen als höchste deutsche Tugenden.

Keine Distanz zur NS-Ideologie

Die Abituraufsätze vermitteln einen Einblick in die Gedankenwelt von Abiturienten und Pädagogen der NS-Zeit. „Auffällig“ war, so Sauer, in welch starkem Maße gerade letztere sich in den Dienst der NS-Machthaber gestellt haben. Von einer kritischen Distanz gegenüber der totalitären Ideologie sei „so gut wie nichts zu spüren“, bilanziert der Autor. Sauer findet es „erstaunlich“, in welchem Ausmaß ein humanistisches deutsches Gymnasium die NS-Ideologie übernimmt. So stimmten die Aussagen in den Abituraufsätzen oft mit den Ausführungen in Hitlers „Mein Kampf“ überein.

Steglitz, in dem das Heese Gymnasium liegt, war in der Weimarer Republik ein ausgesprochen bürgerlicher und konservativer Bezirk. Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) war stark vertreten und die NSDAP erzielte hier stets ihre besten Ergebnisse in Berlin. Bei der Reichstagswahl im November 1932 erreichte die NSDAP im Land Berlin 26 Prozent, im Bezirk Steglitz jedoch satte 36,1 Prozent. Wie andere Bildungseinrichtungen stand das Heese Gymnasium der Weimarer Republik ablehnend gegenüber. In einer Selbstdarstellung heißt es: „Wer schon damals (1920) seinen Sohn dieser Schule anvertraute, der tat es, weil er überzeugt war, dort herrscht immer noch altpreußische Zucht und Ordnung; dort gelten in einer führerlosen und darum richtungslosen Zeit nach wie vor vaterländische und völkische Hochziele.“

Die Aufsatzsammlung ist auch für Leserinnen und Leser interessant, die sich bislang nur am Rande mit der NS-Zeit beschäftigt haben. Kenntnisreich, informativ und verständlich informiert Sauer in seinem  Fußnotenapparat am Ende jeder Seite über entsprechende historische Ereignisse und Personen der Zeit.

Bernhard Sauer: „Nie wird das Deutsche Volk seinen Führer im Stiche lassen“. Abituraufsätze im Dritten Reich. Zeitgeschichtliche Forschungen. Band 46. 2012 Duncker & Humblot, Berlin 2012, 126 Seiten, 29,90 Euro, ISBN 978-3-428-13942-2

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Anton Maegerle

ist freier Journalist.

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