Kultur

Ein Revolutionär der Rede

von Elise Kedik · 22. Juni 2011
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Die Verkündung der Nachricht, dass er der Preisträger sei, hielt der gelernte Ingenieur und promovierte Ökonom für einen Witz. Die Vergabe des Preises an diesen Mann, sei ein Zeichen für die Demokratiebewegung in Nordafrika, begründet der Börsenverein des Deutschen Buchhandels seine Wahl. Ob Literatur bei der Suche nach einer besseren Wirklichkeit für die Menschen in den arabischen Ländern helfen kann, bezweifelt der Schriftsteller jedoch. Trotzdem kann er nicht aufhören zu schreiben: Die Literatur brauche er in seinem inneren Exil wie die Luft zum Atmen, so Boualem Sansal.

"Mit seinem hartnäckigen Plädoyer für das freie Wort und den öffentlichen Dialog in einer demokratischen Gesellschaft tritt Sansal gegen jede Form von doktrinärer Verblendung, Terror und politischer Willkür auf" , begründet der Stiftungsrat dennoch seine Entscheidung. Boualem selbst glaubte nicht daran, dass er jemals Erfolg durch seine Arbeit als Schriftsteller haben wird und rechnete nur selten mit Zustimmung. Dabei entwickelte sich eine große Anhängerzahl im europäischen und internationalen Raum.

Kein gelernter, sondern ein berufener Schriftsteller

Boualem Sansal hat sich jedoch nicht schon immer für das Schreiben von Romanen interessiert. Er fühlte sich mehr zur Ökonomie seines Landes hingezogen und studierte auch dieses Fachgebiet. 1992 wurde er dann Berater des Handelsministeriums und vier Jahre später stand er auf dem Höhepunkt seiner politische Laufbahn: Er wurde Generaldirektor im Ministerium für Industrie und Umstrukturierung. Kurz darauf entdeckte er die Vielfalt am Schreiben, begeisterte sich für die Meinungs- und Gedankenfreiheit und veröffentlichte unter einem Pseudonym einige Werke. Doch schnell geriet er in Konflikt mit dem Staat, denn das Buch "Der Schwur der Barbaren" und weitere Werke, die er bewusst unter seinem Namen präsentierte, stießen in der Regierung auf Missverständnis und Wut. Wegen seiner Kritik an den algerischen Zuständen und den politischen Verhältnissen beurlaubt der Staat Sansal zunächst und entließ ihn dann endgültig aus dem Staatsdienst.

Seit er nach seiner Kündigung ausschließlich als Schriftsteller tätig ist, beschäftigt sich Sansal vor allem mit historischen Stoffen. So wurde 2008 der Roman "La village de l'allemand ou Le journal des fréres Schiller" (dt. Das Dorf des Deutschen) veröffentlicht, der von der - nicht geklärten - Beteiligung ehemaliger deutscher Nazis an der Ausbildung der Befreiungsbewegung im algerischen Bürgerkrieg erzählt und die Auswirkung des Krieges auf ein Dorf beschreibt. In seinem gesamten Werk setzt sich der renommierte Autor auf bisher ungehörte Weise mit der politischen Situation wie dem Bürgerkrieg in Algerien auseinander und macht deutlich, dass Europa mit den Verhältnissen in Nordafrika durchaus zu tun hatte.

Es ist tatsächlich der erste Roman aus dem arabischen Raum, der sich mit dem Holocaust auseinandersetzt.

Der Friedenspreis ehrt Tabubrecher

In der offiziellen Preisbegründung beschreibt die Jury Boualem als einen "leidenschaftlichen Erzähler, geistreich und mitfühlend". Aber eben auch als einen, der durch seinen Ruf nach Demokratie, Freiheit und freier Meinungsäußerung viel Mut habe, offene Kritik an den politischen und sozialen Verhältnissen zu üben. Wie Orhan Pamuk, der 2005 als türkischer Schriftsteller den Preis gewann, ist Boualem Sansal ein Tabubrecher im Geist der Aufklärung: Der Friedenspreis geht also an einen Revolutionär der Rede.

Sansal lebt heute immer noch mit seiner Frau und zwei erwachsenen Töchtern in Bourmerdés bei Algier. Diese Tatsache, dass er trotz vieler Anfeindungen und des Verbots seiner Bücher in Algerien geblieben ist und sich weiterhin in die politischen Gegebenheiten einmischt, hat ihm viel Ansehen in seinem Heimatland bei seinen Anhängern gebracht. So kann er am 16.Oktober zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse die Auszeichnung, die zur Verwirklichung des Friedensgedankens beitragen soll, ohne Befürchtungen eines Witzes und ohne Selbstzweifel annehmen.

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