Kultur

Ein kalter Winter

von Die Redaktion · 10. Januar 2008

media 4485 links randlos"Niemand braucht mich, aber gerade darum darf ich nicht sang- und klanglos abtreten". Reichlich pathetisch plant der arbeitslose Edgar Winter auf den ersten Seiten des Buches seinen Freitod: Ein Selbstmordattentat - etwa mit einer Bombe am Körper im Reichstag - scheint dem ehemaligen Jahrgangsbesten ein würdiger Abgang, "ein Fanal, das veranschaulicht, zu welchen Grausamkeiten Menschen bereit sind!"

Über allem liegt der Schatten einer dominanten, aber früh verstorbenen Mutter: Sie hatte Edgar eingebläut, niemals klein beizugeben. Daran will er sich halten - deshalb die Bombe. Wie die Mächtigen in ihrer Profitgier würde er es machen, "nach uns die Sintflut. Warum soll ich es anders machen? Warum, Mama, kannst Du mir das mal verraten?"

Kontakte

In seinem Selbstmitleid und erfüllt von seinen Attentatsplänen trifft Edgar in einer Berliner Eckkneipe Viktor Schönwalde. Auch der ist arbeitslos - seit der Wende. Der ehemalige Stasi-Spitzel hat keine Geldsorgen, keine Gewissensbisse und vor allem hat er Kontakt zu Leuten, die Arbeit für Edgar haben. Er verschafft ihm eine Stelle als Schwarzarbeiter auf dem Bau.

Eine weitere Person tritt in Edgars Leben: seine ehemalige Studienkollegin Johanna. Sie ist schwanger, hat sich vom Vater des Kindes getrennt und bittet Edgar um Hilfe. Johanna ist illusionslos: Soll sie ihr Kind abtreiben? Oder an den reichen Vater verkaufen? Zunehmend wird Edgar in diese Geschichte verstrickt. Und kann daraus - unverhofft - einen Vorteil ziehen.

Desillusionierung

Edgars Lebensumstände ändern sich rasant. Bald kann er als Architekt arbeiten. Er ist angekommen in der so genannten "Mitte der Gesellschaft". Geschafft hat er das allerdings nur durch Kontakte zu einer illegalen Parallelwelt. Aber das ist ihm zunehmend gleichgültig. Sätze wie "Wenn Du viel Geld haben willst, mußt Du auf die Moral pfeifen, und wenn Du kein Geld hast, kannst Du sie dir nicht leisten", begleiten den Akademiker auf seinem Weg.

Jeder kämpft für sich allein. Alle seine Helfer verfolgen ausschließlich eigene Ziele. Bald ist Edgar bereit, für Arbeit alles zu tun. Schließlich bezieht er daraus sein Selbstwertgefühl. - Auch vor einem Mord schreckt er nicht zurück. Und so entspinnt sich eine krimiartige Geschichte, aus der Edgar kälter und berechnender hervorgeht.

Sobe zeichnet eine nüchterne Arbeitswelt in der jeder nur auf seinen Vorteil bedacht ist. Die Handlung ist streckenweise spannend, aber die Botschaft bleibt platt. Die Charaktere sind flach, viele Dialoge pathetisch. Wer hat Edgar gefühllos gemacht? Seine Mutter, die herzlose Gesellschaft oder beide? Die Antwort auf diese Frage bleibt auf der Strecke. Am Ende lässt "Winter ganz unten" den Leser kalt. Schade!

Birgit Güll

Michael Sobe: "Winter ganz unten", Eulenspiegel Verlag Das Neue Berlin, 2007, 320 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-360-01913-4

0 Kommentare
Noch keine Kommentare