Der gewaltsame Tod Palmes in Stockholm nimmt in den fast 700 Seiten der Biografie gerade mal zwei Seiten ein. "Der Wirbel um den bis heute unaufgeklärten Mord - mitsamt allen wahnsinnigen Verschwörungstheorien und selbsternannten Privatdetektiven - führte dazu, dass Olof Palmes Leben in den Schatten seines Todes geriet", so Berggren in seinem Vorwort. Und darum geht es ihm: das Leben dieses herausragenden Politikers nachzuzeichnen. Das war auch in einem so sozialdemokratisch geprägten Land wie Schweden außergewöhnlich.
Bewunderung und Ablehnung
Palme war zeitlebens eine polarisierende Persönlichkeit. Sein scharfer analytischer Verstand, seine angriffslustige, manchmal schneidende Rhetorik ließen ihn arrogant erscheinen. So hatte er schon immer Bewunderung, aber auch heftige Ablehnung, ja Hass hervorgerufen. Viele haben versucht, die Ursachen dieses Hasses zu ergründen.
In einem Beitrag bei Radio Schweden versucht der Palme-Biograf Berggren eine Erklärung: "Er hatte ein starkes Selbstvertrauen, wollte sehr viel, war angriffslustig in Debatten. In einer Konsensgesellschaft wie der Schwedischen kann das starke Antipathien wecken. Wir leben ja nicht in einer 'Streitkultur'. Ein zweiter Aspekt ist die sozialdemokratische Vorherrschaft. Erlander regierte 23 Jahre lang, dann kam Palme - der bei Amtsantritt erst 42 Jahre alt war. Da tat sich eine Art sozialdemokratische Dynastie auf, die bei vielen bürgerlichen Schweden eine kräftige Frustration hervorrief, die sich unter anderem im Hass auf Palme entlud." Ein Hass, der sich dann in dem Mord an Olof Palme am 28. Februar 1986 entlud.
Eindrucksvolle Biografie
Berggren ist ein großartiges Buch gelungen. Akribisch recherchiert, informationsgeladen und atmosphärisch dicht entwickelt diese Biografie das Bild einer ungewöhnlichen Persönlichkeit, die wie kaum ein anderer Politiker als exemplarisch für das 20. Jahrhundert gelten kann. Vom bäuerlich geprägten Land über den Industriestaat zum sozialen Wohlfahrtsstaat. Von den 20er Jahren über Krieg und Nachkriegszeit, Jugendrevolte und Kalter Krieg, Kernenergie und Nachrüstung, Vietnamkrieg und Dritte Welt, Militärputsch in Chile und Solidarnosc in Polen - Olof Palme war immer unmittelbar dabei, und Berggren nimmt den Leser mit.
Für nicht-schwedische Bücherfreunde mögen die Feinheiten schwedischer Innenpolitik manchmal etwas zu detailverliebt ausgefallen sein, und hin und wieder verwirren Zeitsprünge in der Darstellung ein wenig. Dann kann man rasch diagonal lesen, der lockere Erzählstil fängt einen sicher wieder ein. Etwa wenn Berggren eine Begegnung Palmes mit der Schauspielerin Shirley MacLaine berichtet und dann trocken fortfährt: "Sie behauptete später, eine Affäre mit ihm gehabt zu haben, aber andererseits glaubte sie auch, dass er eine Inkarnation Karls des Großen war, und unterhielt sich nach seinem Tod mit seinem Astralkörper."
Mit seinem voluminösen Werk von über 700 Seiten gelang Berggren nicht nur die eindrucksvolle Biografie eines herausragenden sozialdemokratischen Politikers des 20. Jahrhunderts, sondern auch eine lesenswerte Zeit- und Kulturgeschichte dieser Zeit und unseres skandinavischen Nachbarlandes.
Henrik Berggren: "Olof Palme. Vor uns liegen wunderbare Tage", Aus dem Schwedischen von Paul Berf, Susanne Dahmann, btb, 2011, 720 Seiten, 26,99 Euro, ISBN 978-3-442-75268-3
Für alle Interessierten und für Schweden-Fans gibt es eine Langfassung dieser Rezension.
ist Mitarbeiter der vorwärts-Redaktion, Geschäftsführer a. D. des vorwärts-Verlags und ehemaliger Landesgeschäftsführer der SPD Hamburg.