Die Französin Joëlle Boulogne, seit 1994 in Hamburg, entschied sich für die große Geste. In acht Glanzrollen tritt sie ab Sonntag während der 37. Hamburger Ballett-Tage auf -
und verleiht dem ohnehin großartigen Festival eine zusätzliche Weihe. Danach wird sich die 42-Jährige in Südfrankreich dem Fernstudium zur Ballettlehrerin widmen - und endlich mehr Zeit für
ihren Freund haben, der Koch in Nizza ist.
Vorher aber becirct sie im neuen Stück von John Neumeier, dem Boss und wichtigsten Choreografen des Hamburg Ballett. Sein "Purgatorio" (Fegefeuer) beleuchtet die schwierige Ehe des
Komponisten Gustav Mahler (28.6. sowie 3.7.). Die fast preußische Aura des Fin de siècle trifft darin auf modern-komplizierte Beziehungsgeflechte. Und ergibt auch eine grandiose indirekte
Selbstanalyse Neumeiers. Als Gattin einer Tanzlegende - Waslaw Nijinsky - zeigt Joëlle am 29.6. in der "Hommage aux Ballets Russes" erneut ihr Können: mit kostbaren Kostümen und einer stillen
Eleganz, die nur Tänzerinnen haben.
Ihr Part in Neumeiers "Ein Sommernachtstraum" am 2.7. hat Erinnerungswert: Fürs Rollenstudium der erotischen Shakespeare-Komödie kam Boulogne erstmals an die Alster. Damals war die von
Rosella Hightower ausgebildete Tänzerin noch Solistin in Monte Carlo. Später baute Neumeier sie zum Star auf: Sie sei "eine der größten dramatischen Ballerinen unserer Zeit" lobt sie ihr
Noch-Chef. Als seine "Natalia", die in "Illusionen - wie Schwanensee" tragisch den verwirrten König Ludwig II von Bayern liebt, ist Joëlle eben das (am 7.7.). Ganz leicht und verwegen wirkt sie
dagegen in Jerome Robbins' "Dances at a Gathering" bei den "Chopin Dances" (8.7.).
Schwermütig, doch akrobatisch: Das ist ihre atemberaubende Darstellung einer Geisterfrau, die mit ihrem Witwer und dem Mondmann mit "Seven Haiku of the Moon" der Tanzlust frönt: in
"Fließende Welten" (9.7.). Übrigens wiegt die grazile Person nur 46 kg bei 1,68 m. Sie ist dünn, aber nicht mager, sondern muskulös. Ihrem schnörkellosen Stil aus Geradlinigkeit und Anmut kommt
diese Figur zu Gute.
Ihren endgültigen Abschied aus Hamburg zelebriert sie in der glamourösen "Nijinsky-Gala XXXVII" (10.7.): Boulogne tanzt die "Nachtwanderung" - von John Neumeier für sie kreiert - und ihre
Lieblingsrolle, die "Kameliendame". Zur Musik von Frédéric Chopin legt sie mit Bühnenpartner Alexandre Riabko ballettöses Liebesglück vom Feinsten hin: Im "Weißen Pas de deux" umflattert ein
helles Tüllkleid ihren Körper, den Riabko weit über seinen Kopf empor hebt. Um sie später nach kreiselnden Pirouetten zu küssen. Am Ende wird Joëlle Boulogne wohl in Blumen baden, lachend und
weinend den Erfolg nochmal auskosten. Auch das ist ein Ereignis.
26.6. bis 10.7.: 37. Hamburger Ballett-Tage, Hamburgische Staatsoper, Große Theaterstr. 25, Hamburg, ticket(at)staatsoper-hamburg.de, Tel. 040 - 35 68 68