Kultur

Eierlikör mit der Kanzlerin

von Birgit Güll · 17. Juli 2013

Ein konservativer Bundestagsabgeordneter aus dem Sauerland trifft in Berlin eine junge Feministin. Markus Feldenkirchen erzählt in seinem Roman „Keine Experimente“ von einem Weltbild, das ins Wanken gerät. – Und das wenige Wochen vor der Bundestagswahl.

Am 22. September wird in Deutschland gewählt – in der Realität und im neuen Roman von Markus Feldenkirchen. Es ist Juli und der konservative Hoffnungsträger Frederik Kallenberg ist plötzlich verschwunden. Alle rätseln über seinen Verbleib. Feldenkirchen beschreibt was vor dem Verschwinden geschah.

Verheiratet, Vater, Politiker

Frederik Kallenberg ist Anfang 30, hat seine Jugendliebe Julia geheiratet und mit ihr zwei Kinder bekommen. Alles läuft wie geplant. Als fürsorglicher Vater und Ehemann lebt er den Gegenentwurf zur Ehe seiner Eltern – der Vater ein trauriger Trinker, die Mutter unglücklich und treulos. Das Unglück seiner Eltern im Nacken, weiß Kallenberg wofür er steht: Die heterosexuelle Kleinfamilie, in der sich die Frau der Erziehung widmet und der Mann das Geld verdient.

Als Abgeordneter des Deutschen Bundestags setzt er sich für sein konservatives Familienbild ein. Kallenberg kämpft für das „Müttergeld“ – Geld für Frauen, die sich vollständig der Kindererziehung widmen. Der Feminismus und das Internet sind böse Mächte in diesem Weltbild, das gehörig ins Wanken gerät als Frederik Kallenberg Liane Berg trifft. Die 27-jährige Musikerin und Studentin engagiert sich in der Frauenförderung an der Universität. Die beiden lernen sich bei einer Podiumsdiskussion kennen.

Ein Weltbild gerät aus den Fugen

Kallenberg gefällt die attraktive Frau sofort. Liane wettet mit ihrer Freundin, dass sie den Konservativen nicht rumkriegen kann. So nimmt die Sache ihren Lauf. Die beiden treffen sich bei einem Glas Wein – in einer Kreuzberger Kneipe, die für Kallenberg wie ein fremder Planet wirkt. Sie finden heraus, dass sie beide eine Vorliebe für die Literatur Theodor Fontanes haben, treffen sich wieder. Bald haben sie Sex. Frederik ist reuig, bricht den Kontakt ab – und nimmt ihn wieder auf. Das private Idyll gerät aus den Fugen.

Sein politisches Weltbild – das zynische Machtpolitiker ohnehin bereits angekratzt haben – erschüttert ein Termin bei der Bundeskanzlerin. Die wird nicht beim Namen genannt, trägt aber deutlich Züge der amtierenden deutschen Kanzlerin. Die Buch-Kanzlerin bietet Kallenberg bei einem Glas Eierlikör – sie trinkt täglich „genau einen, nie mehr, aber auch nicht weniger“ – den Posten eines Staatssekretärs in der nächsten Legislaturperiode an. Dafür müsse er die Finger von der Familienpolitik lassen. Denn der Wirbel für den seine „Müttergeld“-Debatte sorge, koste Wählerstimmen.

Das Parlament, ein Stadttheater

Dieser Kuhhandel gefällt Kallenberg nicht. Er kämpft aus Überzeugung für sein konservatives Familienbild und hat für Machtpoker nichts übrig. Zwar scheitert er gerade selbst an seine hohen Moralvorstellungen – doch er versucht verbissen sich an sie zu klammern. Als das misslingt, verschwindet Kallenberg. Als er wieder auftaucht, ist er bereit die Entscheidung zu treffen, wie sein künftiges Leben aussehen soll.

Der „Spiegel“-Journalist Markus Feldenkirchen – er arbeitet seit Jahren für das Hauptstadtbüro des Magazins – lässt seine Kenntnis des Berliner Politbetriebs in seinen zweiten Roman einfließen. Da sind Politiker, denen das Fragezeichen fremd geworden ist: „Wer zur Nachdenklichkeit neigte, hatte sich im Gebäude geirrt“, schreibt Feldenkirchen über das Parlament. Er zeigt die Idealisten und Karrieristen im Politbetrieb, deren Chauffeure an manchen Tagen ihre einzige Verbindung zum Volk seien. Feldenkirchens Ausführungen über den politische Betrieb und seine spitze Feder machen das Buch zu einer anregenden Lektüre im Sommer vor der Wahl.

Femme fatale trifft Spießer

Doch so fein Feldenkirchen die Klinge bei der Analyse des Politbetriebs führt, so flach bleiben seine Charaktere und ihre Liebesgeschichte. Zwar nimmt Feldenkirchen sich viel Zeit seinen Helden mit einer Vergangenheit auszustatten, die seine Suche nach Sicherheit und dem kleinen Glück zu Hause erklären soll. Seine Frauenfigur dagegen ist das Klischee einer Femme fatale, die routiniert verführt – und sich dann doch verliebt.

Warum die emanzipierte junge Frau so angetan ist vom provinziell-spießigen Kallenberg bleibt unklar. Zwar gefällt ihr seine Unverstelltheit. Sie ist auch ein wenig übersättigt von den immer gleichen Affären. Dass der Streiter für das Müttergeld da Abhilfe schafft, ist aber doch reichlich konstruiert. Die gemeinsame Verehrung Fontanes ist ein wenig originelles, aber breit ausgewalztes Bindeglied. Das ist schade, doch es bleibt das Vergnügen die politischen Beobachtungen des Autors zu lesen.

Der Verlag Kein & Aber sorgt dafür, dass man das gleich auf zwei Weisen tun kann: Er bringt die Hardcover-Ausgabe des Romans erfreulicherweise inklusive eBook-Version auf den Markt. Es ist also möglich, den Käufern der Hardcover-Ausgabe die elektronische Version des Buches gratis mitanzubieten. Bleibt zu hoffen, dass sich das Konzept des Verlages in der Buchbranche durchsetzt.

Markus Feldenkirchen: „Keine Experimente“, Kein & Aber, Zürich – Berlin 2013, 399 Seiten, 22,90 Euro, ISBN 978-3-0369-5671-8

 

 

Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare