Dokumentarfilm „Sold City“: Wie bezahlbares Wohnen wieder möglich wird
Immer mehr entscheidet der Markt, wo Menschen leben. Der Dokumentarfilm „Sold City“ legt offen, welches System dahintersteckt und wie sich diese Entwicklung stoppen lässt.
Salzgeber
Die Wut der Mieter*innen wächst: In Berlin demonstrieren Tausende von Menschen für eine Vergesellschaftung von großen Wohnungsunternehmen.
Die Berliner Mieterin ist fassungslos. Seit gut 40 Jahren lebt sie in ihrer Wohnung im trendigen Stadtteil Prenzlauer Berg. Damit könnte bald Schluss sein. Vor Kurzem wurde das Haus saniert und die Miete hat sich verdreifacht. Mit ihrer Wut ist die Rentnerin nicht allein. Mit tausenden Menschen zieht sie durch das Zentrum der Hauptstadt, um gegen Mietwucher und für die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen zu demonstrieren.
Die Szene setzt den Ton des engagierten Dokumentarfilms Berlin „Sold City“. Dieser zeigt, wie die sich zunehmende Zuspitzung auf dem Wohnungsmarkt und der im Titel angedeutete Ausverkauf von Immobilien und Grundstücken dazu beiträgt, eine Gesellschaft auseinanderzudividieren. Nicht nur, aber gerade in deutschen Großstädten.
Für die beiden Filmemacher*innen Leslie Franke und Herdolor Lorenz ist Wohnen ein Grundrecht. Dieses sehen sie angesichts der zunehmenden Verdrängung einkommensschwacher Schichten an den Stadtrand verletzt. Sie kritisieren den durch steigende Mieten getriebenen Prozess und die Methoden, mit denen vor allem große Immobilienkonzerne ihre wachsende Macht auf dem Rücken der Mieter*innen durchsetzen. All das haben sie vor ihrer Haustür im Hamburger Viertel St. Georg jahrelang verfolgt.
Abschied von der Wohngemeinnützigkeit
Es schwingt aber auch die Kritik an politischen Entscheidungen mit. Der um sich greifende Mietwucher wurde in Deutschland auch deswegen möglich, weil die Kohl-Regierung im Jahr 1990 die Wohngemeinnützigkeit abgeschafft und öffentliche beziehungsweise Sozialwohnungen in den Folgejahren zu Spottpreisen verscherbelt wurden.
Großvermieter wie Vonovia ließen viele Gebäude verkommen und verkauften die anschließende Sanierung als Modernisierung, um höhere Mieten zu verlangen. Diese sind vor allem dazu da, eine höhere Dividende für Aktionär*innen möglich zu machen. Oftmals ging es ihnen vor allem darum, günstig erworbene Wohnungen profitbringend in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Diesen Trend macht der Film anhand von zahlreichen Beispielen deutlich.
Was Mieter*innen aus Hamburg und Berlin vor der Kamera hierzu berichten, ist zum Gruseln. Das gilt erst recht für die Eindrücke aus London. Die Autorin Anna Minton beschreibt die Verdrängung der arbeitenden Bevölkerung dort und anderswo nicht als Gentrifizierung, sondern weitaus radikaler als „Sterilisierung“.
Apropos Politik: „Sold City“ zeigt Lösungen auf, etwa durch einen Blick nach Wien. Dort haben drei Viertel der Mieter*innen Zugang zu sozialem Wohnungsbau. Bürgermeister Michael Ludwig von der SPÖ erklärt, wie das geht: mit einer entschlossenen Politik, die Investor*innen in die Pflicht nimmt. Längst ist die österreichische Kapitale auf diesem Gebiet zur Modellstadt geworden.
Aber auch der kapitalistische Vorzeigestaat Singapur ist beim Thema bezahlbares Wohnen weiter als viele denken: Dort leben 86 Prozent der Menschen in kommunalen Wohnungen. Ob und wie sich die Rezepte aus Wien und Singapur auf Deutschland übertragen lassen, bleibt im Vagen. Der Appell, es zumindest zu versuchen, ist aber nicht zu übersehen. Dass die deutsche Bundesregierung jetzt eine Rückkehr zur Wohngemeinnützigkeit in die Wege leitet, konnte in den Film nicht mehr einfließen.
Nach „Der marktgerechte Mensch“ und „Der marktgerechte Patient“ komplettiert „Sold City“ die Trilogie von Leslie Franke und Herdolor Lorenz zu den Auswüchsen des Gewinnstrebens. Für ihre Analyse und Kritik nehmen sich die beiden in ihrem neuen und über viele Jahre entstandenen Film reichlich Zeit.
Alternativen zum Mietwucher
Unter der Überschrift „Eigentum statt Menschenrecht“ steht im ersten Teil das System der Umwandlung von Wohnraum in Konzerneigentum im Mittelpunkt. Teil zwei („Enteignung statt Miete für die Rendite“) widmet sich der Profitmaximierung aufseiten von Großvermietern und zeigt, welche Alternativen Protestinitiativen und Expert*innen verfolgen. So plädiert der frühere SPD-Vorsitzende und Münchener Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel eindringlich für eine Stärkung des Allgemeinwohls auf dem Wohnungsmarkt.
Angesichts seiner üppigen Laufzeit mag es kaum verwundern, dass der Film an einigen Stellen redundant ist. Aufschlussreich ist die Vielzahl an Perspektiven, die auch Vertreter*innen von Immobilienriesen umfassen, aber dennoch. Nicht nur die vergammelten Wohnungen zeigen die Wahrheit hinter der Wohlfühl-PR der Konzerne. Aus diesem facettenreichen Mosaik ergibt sich ein unmissverständlicher Auftrag an die politisch Verantwortlichen.
„Sold City - wenn Wohnen zur Ware wird“ (Deutschland 2024), Regie: Leslie Franke, Buch: Herdolor Lorenz, mit Michael Ludwig, Hans-Jochen Vogel und anderen, 2 x 102 Minuten.
Im Kino