"Die Intellektuellen haben die Verantwortung, die Wahrheit zu sagen und Lügen aufzudecken", schrieb Noam Chomsky Ende der 60er. Sie seien in der Lage, die Lügen der Regierungen zu entlarven
und Handlungen nach ihren Ursachen, Motiven und bisweilen verborgenen Absichten zu analysieren. Diesen Leitgedanken aus dem Aufsatz "Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen" ist Chomsky treu
geblieben. Unerbittlich in seiner Kritik sorgt der streitbare Linke bisweilen für heftige Kontroversen.
Solidarischer Klassenkampf
Als Sohn des jüdischen Hebraisten William Chomsky ist er am 7. Dezember 1928 in Philadelphia geboren. "Chomsky wuchs in einer Zeit auf, die von der Großen Depression und dem internationalen
Aufstieg des Faschismus geprägt war", unterstreicht Anthony Arnove im Vorwort des Buches. Während seine Eltern das waren, was Chomsky als "normale Roosevelt-Demokraten" bezeichnete, war ein Teil
seiner Verwandten in der Textilarbeiter-Gewerkschaft organisiert. Sie stärkten Chomskys Sinn für Solidarität und Klassenkampf.
Im Alter von 26 Jahren wird der Sprachwissenschaftler Noam Chomsky 1955 ans Massachusetts Institute of Technology berufen. Sein linguistisches Werk findet große Beachtung, und macht ihn zur
anerkannten Größe auf dem Gebiet. Mit der militärischen Intervention der USA in Vietnam verstärkt sich Chomskys politisches Engagement. In frühen Essays argumentiert er gegen diesen Krieg und
verurteilt die US-Außenpolitik bereits als imperialistisch.
"Räuberischer Kapitalismus"
Vom Vietnamkrieg über die Organisation von Massenmedien bis hin zum 11. September reichen die ausgewählten Texte des Essay-Bandes. So geben sie einen Einblick in Chomskys politisches
Denken. Dabei scheint vieles überraschend - oder so gar nicht überraschend - aktuell. Etwa wenn in einem Aufsatz von 1966 zu lesen ist, dass wir uns immer noch mit klassischen Problemen
herumzuschlagen hätten: "vor allem das klassische Paradoxon von der Armut inmitten des Überflusses", das zu einem ständige wachsenden Problem werde.
Auch die Aktualität von Chomskys Essay "Sprache und Freiheit" könnte fast sarkastisch stimmen. Da ist vom "räuberischen Kapitalismus" zu lesen. Und davon, wie dieser ein komplexes
Industriesystem geschaffen, und "eine beträchtliche Erweiterung demokratischer Praktiken erlaubt und bestimmte liberale Werte gefördert habe - allerdings in Grenzen, die heute immer enger werden
und überwunden werden müssen", analysiert Chomsky - und zwar 1970.
Politische und gesellschaftliche Versklavung
Der kapitalistische Begriff des "'Konkurrenzmenschen', der nur Reichtum und Macht zu maximieren trachtet, der sich den Marktverhältnissen, der Ausbeutung und der äußeren Autorität
unterwirft, ist antihuman und unerträglich", unterstreicht Chomsky im selben Text. Marx' Anmerkungen zur Pariser Kommune formuliert er in dem Essay "Bemerkungen zum Anarchismus" auf "die
imperialen Systeme der 70-er Jahre" um: Das Problem der 'Befreiung des Menschen aus dem Fluch der ökonomischen Ausbeutung und der politischen wie gesellschaftlichen Versklavung' ist immer noch
das Problem unserer Zeit."
Seit den 60ern kritisiert Chomsky die US-Außenpolitik als imperialistisches Machtstreben. Seine Analysen sind kenntnis- und faktenreich. Sie sind scharfe Angriffe, bisweilen auch ein wenig
polemisch. Seine Haltung zu den Terroranschlägen vom 11. September wird ebenso diskutiert und kritisiert wie etwa seine Haltung zu Israel, beziehungsweise zu dem Verhältnis Israel-USA. Seiner
Maxime der "Verantwortlichkeit der Intellektuellen" ist er dabei aber stets gefolgt. Eine Auseinandersetzung mit Chomskys politischen Schriften ist in jedem Fall absolut lohnenswert und
erhellend.
Noam Chomsky: "Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen. Zentrale Schriften zur Politik." Herausgegeben von Anthony Arnove, Verlag Antje Kunstmann, München 2008, 462 Seiten, 24,90 Euro,
ISBN 978-3-88897-527-1
Goetz Schleser
ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.