Kultur

Die Revolution in Irans Betten

von ohne Autor · 4. August 2011
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Wer hätte das gedacht: Schiitische Mullahs, für viele ein Inbegriff gestrenger Sitten, reden über Geschlechtsverkehr. Und zwar ausgiebig, detailliert und völlig unverkrampft. Man könnte sagen: Was bleibt ihnen auch anderes übrig, wenn sie die Deutungshoheit über die Sexualmoral reklamieren. Umso frappierender ist der Kontrast zu kirchlichen Würdenträgern im Westen, man denke nur an katholische Durchschnittstheologen.

Ehe auf Zeit

Das innere Gefüge der Islamischen Republik ist, so die wesentliche Erkenntnis dieses Films, weniger hermetisch, als manche Beobachter vermuten. Und die Geistlichen kennen jedes Schlupfloch. In ihren Ehebüros kommen Männer und Frauen zusammen, um die sogenannte Zeitehe zu schließen. Das Zweckbündnis steht in seiner gegenwärtigen, vergleichsweise lockeren Ausprägung für die Doppelmoral einer - angesichts des Durchnittsalters von 27 Jahren (Deutschland: 43,8 Jahre) - jungen Gesellschaft, die einerseits von einem konservativen Kleriker-Regime kontrolliert wird, sich andererseits seit den 90er-Jahren viele private Freiheiten erkämpft hat.

Anstatt sich auf ewig zu binden, wählt man einen Bund mit begrenzter Laufzeit. Ob für ein Jahr oder für ein paar Stunden: Wo Prostitution und Ehebruch drakonisch bestraft werden, verschafft man sich mit Allahs Segen und gegen Bares Freiräume. Oder man hat eben keine andere Wahl, weil das "Brautgeld" für eine "richtige" Hochzeit fehlt oder der Vermieter ohne Heiratsurkunde keine Schlüssel herausrückt.

Mätresse mit Trauschein

Auch wenn die Zeitehe individuelle Vorteile für beide Geschlechter ermöglicht: Unterm Strich kommen die Vorteile dieses Reglements vor allem den Männern zugute. Oftmals ist die "Gattin auf Zeit" eine rechtlose Mätresse. Eine Frau berichtet von ihrem Angetrauten: "Seit acht Jahren kommt er jede Nacht für eine Stunde und geht dann wieder. Aber er unterstützt mich, wo er kann."

Ein anderes Beispiel für diese Schieflage liefert ein Mullah. In aller Seelenruhe doziert er über die Vorschriften für eine Jungfrau, die als solche irgendwann eine "vollwertige" Ehe einzugehen hat, es aber vorher mit einem anderen Partner versucht: "Ihr ist nur eine asexuelle Partnerschaft erlaubt. Es darf keine Penetration stattfinden, weder von vorne noch von hinten", erklärt er und ergänzt, sich dabei grinsend das Ohr unterm Turban kratzend: "All das hat das heilige Gesetz des Islam bedacht." Ein Satz, der fast wie ein ironischer Kommentar wirkt, auch wenn, wie zu hören ist, schon der Prophet Mohammed die Zeitehe gepriesen haben soll.

In den Erzählungen der Interviewpartner wird aber auch deutlich, dass es bei diesem Rechtsakt immer auch ums Geschäft geht. Gewissermaßen um käufliche Liebe, die, um im Bild des Filmtitels zu bleiben, wie eine Ware auf dem Bazar zu haben ist. "Wenn eine Frau andauernd heiratet, wo ist da der Unterschied zur Prostitution?", fragt einer der Theologen.

Blogger kontra Mullah

Bis zu ihrem zwölften Lebensjahr lebte die österreichische Filmemacherin Sudabeh Mortezai im Iran. So prägt diesen Film eine gewisse Doppelbödigkeit: Da ist sowohl der Innen- als auch der Außenblick auf die Regionalmacht im Mittleren Osten. Hinzu kommt das Nebeneinander einer weiblichen und einer männlichen Perspektive auf das Geschlechterverhältnis, wenngleich darunter nicht immer klare Fronten zu verstehen sind. In einer der stärksten Szenen wirft ein 20-jähriger Blogger einem Mullah seine Meinung zum herrschenden Machismo an den Kopf: "Was Frauen schadet, schadet auch den Männern."

Mortezai gibt zu, während der Dreharbeiten vor drei Jahren einige Situationen, vor allem die Begegnungen in Privatwohnungen, arrangiert zu haben: Dennoch verblüfft die Unbefangenheit, mit der sich die Gesprächspartner über die verordnete Sitte und Moral - und auch indirekt über die politische Lage - äußern. Allerdings hatte die Offenheit ihren Preis: Die 42-Jährige habe vorab zusichern müssen, ihren Film niemals im Iran zu zeigen, heißt es. Teherans Zensoren würden ihn ohnehin niemals abnicken.

Ein anderer Iran

Gerade für all jene, die an einen anderen Iran glauben, ist dieser Film ein Gewinn. Der Nihilismus einiger Akteure gegenüber religiösen und politischen Eliten macht deutlich, dass nicht nur unter den jungen Erwachsenen der Wunsch nach Veränderung übergroß ist. Mortezai sieht darin gar die Ouvertüre für die Massenproteste während der Grünen Revolution.

Dass das Regime seitdem den zivilen Ungehorsam in Gewalt zu ersticken versucht, droht diesen Glauben zu erschüttern. Jedoch zeigt "Im Bazar der Geschlechter", dass im Iran auch außerhalb des Schlafzimmers etwas in Bewegung geraten ist, das sich kaum aufhalten lässt.

Im Bazar der Geschlechter (Österreich/ Deutschland 2009), Regie und Drehbuch: Sudabeh Mortezai, 84 Minuten www.bazar.wfilm.de Ab 4. August im Kino

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