Kultur

Die Nachkommen der Frauenrechtlerin

von Birgit Güll · 17. November 2011
placeholder

Aufgebahrt liegt Dorothy Trevor Townsend "in ihrer einfachen Kiste, eine lavendelfarbene Schärpe für das Frauenwahlrecht über der zarten, reglosen Brust". Es ist das Jahr 1914 und ihre Tochter Evelyn Charlotte Townsend ist gerade 13 geworden. Ihr Sohn Thomas ist elf Jahre alt. Die junge Mutter Dorothy Trevor Townsend hat sich zu Tode gehungert "wegen neumodischer Ideen, Stolz, einer gewissen Eitelkeit oder auch törichter Erwartungen", sagen die Nachbarn. Weil sie keine andere Möglichkeit sah gehört zu werden, sagt Dorothy und ihre Tochter versteht.

Der Kampf um persönliche Freiheit

Dass ihre Vorfahrin sich dafür stark gemacht hat die Verhältnisse für Frauen zu ändern, prägt die nachkommenden Generationen. Dorothys Tochter Evelyn kommt in ein Mädchen-Internat, ein Stipendium ermöglicht der Engländerin ein Studium in den USA. "Ich habe nicht vor, mich zu verheiraten", erklärt sie einer Freundin. "Ich bin fertig mit Familie." Die Chemikerin widmet sich der Wissenschaft.

Lange Zeit weiß Evelyn Townsend nichts von ihrer Nichte. Sie hat keinen Kontakt zu ihrem Bruder, der direkt nach dem Tod der Mutter in die USA geschickt wurde. Der hat seine Tochter nach ihrer kämpferischen Großmutter benannt. Diese Dorothy nimmt den Kampf für ihre persönliche Freiheit erst spät auf, dafür umso konsequenter. Sie befreit sich von einer Ehe die über die Jahre zum Gefängnis geworden ist. Der Tod ihres erwachsenen Sohnes macht sie zur engagierten Kriegsgegnerin im Amerika des 21. Jahrhunderts.

Widrigkeiten der weißen Oberschicht

Ihren beiden erwachsenen Töchtern fällt es schwer diese Wandlung nachzuvollziehen. Die eine, Liz, ist zu beschäftigt mit ihren drei Kindern und dem Leben in der New Yorker Gesellschaft. Die andere, Caroline, ist darum bemüht die Ehe der Eltern zu kitten und die Beziehung zu ihrer erwachsenen Tochter - die wie ihre Ur-Großmutter Dorothy heißt - aufrecht zu erhalten. Irgendwann entdeckt Caroline den Blog ihrer Mutter im Internet und stellt fest, dass die Fragen die diese umtreiben sich von den eigenen wenig unterscheiden.

Kate Walbert stellt in ihrem Generationen-Porträt die Frage nach weiblicher Selbstbestimmung. Sie zeigt die Konsequenzen von Entscheidungen auf - und das Leben mit ihnen. Anhand von Kapiteln, die den unterschiedlichen weiblichen Protagonistinnen gewidmet sind, führt Walbert durch die letzten 100 Jahre. Sie zeigt Widrigkeiten auf, an denen Frauen sich abarbeiteten. Sie zeigt, wie sich manches verändert und verschoben hat. Allerdings zeigt sie dem Leser immer nur die Widrigkeiten der Oberschicht.

Angefangen bei Dorothy Trevor Townsend, die darauf bestand, ihre Bedienstete stets in blütenweißer Bluse zu sehen, über die College-Professorin Evelyn. Bis hin zu Liz, der im Manhattan der Jahrtausendwende beim arrangierten Spieltreff ihrer kleinen Tochter die Angst vor einem neuerlichen Terroranschlag erstmals bewusst wird. So erzählt Walbert zwar vom Kampf um Grundrechte und um Selbstbestimmung, blendet dabei aber doch einen Großteil der Frauen aus. Das tut dem Lesevergnügen wenig Abbruch, reduziert das Buch und sein Thema aber auf eine bestimmte gesellschaftliche Schicht.

Kate Walbert: "Die Frauen", btb Verlag, München 2011, 316 Seiten, 19,99 Euro, ISBN 978-3-442-75274-4

Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare