Kultur

Die Irren von nebenan

von ohne Autor · 1. Februar 2013

Kaum eine andere Errungenschaft der modernen Zivilisation repräsentiert das Durchschnittliche so sehr wie das Mietshaus. Gleichzeitig beflügelt es die Fantasie in beispielloser Weise. Der Psychothriller „Corridor“ knüpft daran mit einer bestechend bodenständigen Ästhetik an.

Nicht nur unergründliche Geräusche von nebenan setzen das Kopfkino in Gang. Es sind häufig die Nachbarn selbst, die immer wieder die Frage nach Sein und Schein aufwerfen. Kein Wunder also, dass sich Filmemacher von diesem verdichteten Zusammenleben immer wieder inspirieren ließen. Gleichermaßen am subtilsten und wahnwitzigsten setzte Roman Polanski in „Rosemary's Baby“ und „Der Mieter“ Maßstäbe in dieser Disziplin.

Die schwedischen Filmemacher Johan Lundborg und Johan Storm stellen sich mit „Corridor“ ganz bewusst in die Tradition der Klassiker des Horror- und Psychothriller-Genres der 60er- und 70er-Jahre. Deren formale Brillanz und erzählerische Dichte ist bis heute unerreicht. Gleichwohl ist dieser Film weder eine Hommage oder ein Abklatsch. Das Traumwandlerische von Polanskis Albtraumwelten geht „Corridor“ völlig ab. Ebenso wenig lässt sich das Ganze mit den feinsinnig ausgebreiteten Ritualmord-Orgien vergleichen, die in Skandinavien mittlerweile zur Marke kultiviert wurden. Eher geht es um ein minimalistisches, geerdetes Kammerspiel, dessen Schrecken in der absoluten Alltäglichkeit lauert und ebenso spröde ausgebreitet wird. Was dessen Wucht freilich keinen Abbruch tut: Sozusagen eher beste Dogma-Schule als Polanski.

Höhlenleben in der Stadt

Medizinstudent Frank hat es fast geschafft. Seit Monaten büffelt er für seine Abschlussprüfung. In wenigen Tages ist es soweit. Sein Leben besteht aus Büchern, Kaffee und Frühstückseiern. An den Menschen in seinem Mietshaus läuft er achtlos vorbei. Er kann gar nicht schnell genug über den Hausflur hasten und sich in seiner Einzimmerwohnung verbarrikadieren. Er ist ein jungenhafter Nerd und wohl irgendwie auch stolz darauf. Falls er für derlei Selbstreflexion überhaupt noch Kapazitäten hat.

Eines Tages schneidet kommt ihm Lotte in die Quere. Die Nachbarin bittet ihn, mit ihr ein Möbelstück in die Wohnung zu tragen. Und vielleicht auch, um menschliche Nähe zu suchen? Es bleibt nicht bei dem einen Gefallen. Immer wieder steht die verhuschte Frau mit dem Pferdeschwanz vor seiner Tür. Doch eigentlich fühlt sich Frank belästigt. Auch, weil Lottes lautstarkes Liebesspiel in der Wohnung über ihm ihn des Nachts kaum zur Ruhe kommen lässt. Tagsüber läuft er wie ein Zombie durch die Uni. Immer mehr verkehrt sich sein einst so unerschütterliches vernunftgesteuertes Wesen ins Gegenteil. Kein Wunder, dass die Noten in den Keller gehen.

Als eines Abends schon wieder die weinende Lotte vor seiner Tür steht, zieht Frank endgültig die Reißleine. Er weist ihr die Tür, obwohl ihr Freund Micke sie offensichtlich misshandelt hat. Doch indem sich der elitäre Student verweigert, wird er unaufhaltsam in Lottes Bedrängnis hineingezogen. Ein tödliches Drama nimmt seinen Lauf. Das Haus wird immer mehr zum hermetisch-hypnotischen Tunnel, dessen Ausgang im Dunkeln bleibt. Auch für den Zuschauer, dem nur wenige Szenen außerhalb dieses sterilen Labyrinths aus Zimmern und Gängen vergönnt sind.

Frank beschließt, Lotte aus den Fängen ihres prügelnden Freundes zu befreien. Ihr Rocker-Kumpel ist ihm ebenso wenig geheuer. Doch dazu muss er sie erst einmal finden. Derweil wird Micke auch für Frank zu einer echten Bedrohung, wenngleich seine Provokationen dazu beigetragen haben. Offenbar ist auch Micke auf der Suche nach Lotte.Krank vor Eifersucht belagert er Franks Wohnung. Dem wird klar, dass er dort nicht länger sicher ist. Er wagt den Ausbruch und begibt sich in die Höhle des Löwen in der Etage über ihm. Was er dort findet, lässt seine Situation endgültig aus dem Ruder laufen.

Nichts als Eindringlinge

Dass einen diese schlicht anmutende Geschichte, aber keineswegs vorhersehbare Geschichte von Anfang bis Ende bei der Stange hält, nötigt Respekt ab. Zumal Lundborg und Storm von Anbeginn an die Daumenschrauben anziehen und das Level halten. Das liegt vor allem an der hermetischen Erzählweise, die den vereinsamten Frank meist auf sich selbst zurückwirft. Nicht nur Micke, sondern auch Lotte sind plötzliche Eindringlinge, die nichts Gutes bringen. Das heißt: Hätte Frank im entscheidenden Moment Empathie und Menschlichkeit bewiesen, wäre ihm der unschöne Rest der Geschichte womöglich erspart geblieben. Lindborg und Storm wollen diesen Aspekt als Statement verstanden wissen, ohne ihren Film moralisch zu überfrachten.

Neben den verstörenden,manchmal etwas zu üppigen Soundeffekten sind es vor allem die unberechenbaren Hauptfiguren, die die teils groteske Spannung halten. Ein beeindruckenderes Brutalo-Stumpfhirn als Micke, gespielt von Peter Stormare (bekannt aus „Fargo“ und „The Big Lebowski“ ) lässt sich schwerlich ausmalen. Und wer würde sich wundern, wenn Lotte mit ihrem leeren Blick im nächsten Moment zur Killerin mutieren würde?

„Corridor“ wird das Genre, in dem er wurzelt, nicht neu erfinden. Doch immerhin ist es gelungen, mit zeitgemäßer Ästhetik eine große Tradition wieder zum Strahlen zu bringen.

Info:

Corridor (S 2010)., ein Film von Johan Lundborg und Johan Storm, mit Emil Johnsen

Ylva Gallon Peter Stormare u.a., 80 Minuten, OmU

Kinostart: 31.Januar

0 Kommentare
Noch keine Kommentare