Kultur

Die graue Koalition

von ohne Autor · 19. Dezember 2012

Deutschland altert – und mit dem Volk werden auch die Volksparteien älter. Schon heute hat jeder dritte Wähler und sogar jedes zweite Mitglied von CDU und SPD seinen 60. Geburtstag hinter sich. Was bedeutet das für die Macht zwischen Alt und Jung? Die Politikwissenschaftlerin Bettina Munimus hat sich umgeschaut – und gelangt zu differenzierten Erkenntnissen.

Über den demografischen Wandel sind viele Stimmungsmeinungen im Umlauf. Manche, wie Altbundespräsident Roman Herzog, fürchten eine „Rentnerdemokratie“, in der die Alten die Jungen unterbuttern, allein durch ihre bloße numerische Zahl. Andere sind der Ansicht, es sei kein Problem, wenn die Alten mehr und die Jungen weniger werden – schließlich seien die Omis und Opis ja keine Egomanen, die nur auf sich schauten, sondern unterstützen ihren Nachwuchs mit Zeit und Geld.

Die junge Politikwissenschaftlerin Bettina Munimus hat genauer hingesehen. Sie hat gefragt: Was bedeutet es für die beiden Volksparteien CDU und SPD, wenn ihre Mitglieder mehrheitlich aus Rentnern bestehen? Genauer: Gibt es mehr Ältere in den obersten Parteigremien und Parlamenten? Wie mächtig sind die Altenvereine der Parteien, also die Senioren-Union der CDU und die AG 60plus der SPD? Und was passiert in den Ortsvereinen, wenn die Jungen wegbleiben und die Alten mehr werden?

Differenzierte Erkenntnisse statt Fachjargon

Herausgekommen ist ein dickes Buch, 375 Seiten dick. Obwohl es eine Doktorarbeit mit wissenschaftlichem Anspruch ist, verzichtet die Autorin weitgehend auf hochtrabenden Fachjargon, sodass ihre Dissertation auch von Fachfremden angenehm flüssig lesbar ist. In die üblichen Schwarz-Weiß-Schablonen des „Ja“ oder „Nein“ zum angeblichen oder tatsächlichen Generationenkonflikt passt die Studie nicht. Vielmehr liefert Munimus differenzierte Erkenntnisse, die kaum in platten Schlagzeilen unterzubringen sind, die aber umso mehr eine Schlagzeile wert wären.

Zunächst stellt die Forscherin fest, dass die über 60-Jährigen weder in den Parteivorständen noch in den Regierungen und Parlamenten die dominierende Generation darstellen. Die Alten streben offenbar nicht mehr nach der Macht; die überlassen sie den mittleren Altersgruppen. Als Erklärung dafür bietet sie die „Repräsentationsthese“ an: „Ältere fühlen sich bislang adäquat in ihren politischen Interessen von den Jüngeren in den Parlamenten vertreten. Stattdessen möchte die Mehrzahl ihr Engagement auf lokaler Ebene in gewohnter Weise aufrechterhalten, ohne dass daraus neue Macht- und Handlungsambitionen erwachsen.“

„latente“ Macht der Älteren

 Speziell mit Blick auf die SPD stellt Munimus fest, dass die AG 60plus innerparteilich wenig Einfluss und wenig Anerkennung besitzt. Mit der befürchteten Übermacht der Älteren könne es also nicht weit her sein.

Allerdings besitzen die Älteren eine „latente“ Macht: Sie sind viele, und in einer Demokratie zählt jede Wählerstimme gleich. Auch wenn die Generationen in sich sehr heterogen sind, könnten die Älteren ihr Gewicht ausspielen, sobald sie gemeinsame Interessen – wie etwa die Renten – angegriffen sehen. Es geht also auch hier, der Marx’schen Definition des Proletariats von der „Klasse an sich“ im Unterschied zu der „Klasse für sich“ folgend, darum, ob sich die Alten als Gruppe mit gleichen Interessen begreifen oder nicht.

Sobald jüngere Politiker ihre Interessen infrage stellen, können ihre politischen Fürsprecher und Funktionäre aus der älteren Generation mit Verweis auf die Abhängigkeit von der Unterstützung der Generation 60plus den Gehorsam der Politik einfordern. So geschehen etwa bei der Drohung der Senioren-Union gegenüber dem jungen CDU-Politiker Jens Spahn, seine Wiederwahl auf einen sicheren Listenplatz zu verhindern, wenn er sich nicht den rentenpolitischen Vorstellungen der Senioren beugt.

Kein Krieg der Generationen

Im Gegensatz zu manch plakativer Kampfrhetorik vom Krieg der Generationen beweist Bettina Munimus in ihrem Buch anhand kenntnisreicher Innenansichten der Volksparteien, dass „die Alten“ keineswegs so egozentrisch sind, wie es ihnen gelegentlich unterstellt wird. Zu vielfältig sind ihre Interessenlagen und zu stabil die Generationenbeziehungen. Doch Munimus beobachtet ebenfalls Anzeichen, dass die Politik zu einer freiwilligen „Vorwegnahme vermeintlicher Erwartungen dieser Altersgruppe“ neigt, und so antizipativ auf die vermuteten Interessen der älteren Wähler reagiert.

Zusammengefasst: Ein Krieg der Generationen steht nicht bevor, zumindest nicht in der oft bemühten pauschalen Rede von „Alt versus Jung“. Ebenso wenig strebt die Ruhestands­generation aktiv nach der Macht. Aber die Alten sind viele, sie haben die Wählerstimmen und bilden die Grundlage der Parteiorganisation. Gegen ihre als gemeinsam wahrgenommenen Interessen lässt sich Politik nur schwer durchsetzen.

Die Studie von Bettina Munimus wurde nicht grundlos mit dem Demografiepreis der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen ausgezeichnet. Sie redet nicht den selbsternannten Generationenkriegern das Wort und schüttet kein Wasser auf die Mühlen der Sozialstaatsgegner. Vielmehr zeichnet sie ein abwägendes, detailliertes und intimes Portrait vom Innenleben der Volksparteien – die daher gerade für Sozialdemokraten eine erkenntnisreiche Lektüre bietet.

Bettina Munimus: Alternde Volksparteien – Neue Macht der Älteren in CDU und SPD? Transcript Verlag, Bielefeld 2012, 375 Seiten, 35,80 Euro, ISBN 978-3-8376-2211-9

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