Kultur

„Die göttliche Ordnung“: Hausfrauen proben den Aufstand

Chaostage im Alpenidyll: Die Komödie „Die göttliche Ordnung“ erzählt davon, wie Schweizer Frauen dafür kämpfen, endlich wählen zu dürfen. Ein Film, aktueller denn je.
von ohne Autor · 4. August 2017
Die göttliche Ordnung
Die göttliche Ordnung

Die Schweiz gilt vielen als demokratisches Musterland, doch Frauen dürfen dort erst seit 1971 an nationalen Wahlen teilnehmen. Das hat seinerzeit eine Volksabstimmung – unter den Männern – so entschieden. Noch viel länger sollte es dauern, bis Frauen auch bei sämtlichen Kantonswahlen zugelassen waren. Erst 1989 und 1990 gaben die beiden Appenzeller Halbkantone dafür grünes Licht.

In diesem Teil unseres südlichen Nachbarlandes spielt auch der Film der Schweizer Regisseurin Petra Volpe, der, wie alle Lustspiele, tatsächlich etliche Züge eines Dramas trägt. Anfang der 70er-Jahre ist die Hippiewelle längst verebbt, sind Begriffe wie „freie Liebe“ und „Emanzipation“ international in aller Munde, doch in der ländlichen Eidgenossenschaft herrscht der Mief der 50er-Jahre. Ein Job? Den können Frauen nur mit dem Segen des Gatten, der auch sonst über die Familie bestimmt, haben. Der Haushalt? Ganz klar Frauensache. Söhne, Väter und Großväter lassen sich von vorne bis hinten bedienen. Genau so sieht das Leben der jungen Hausfrau und Mutter Nora, die Protagonistin dieser Chronik einer Zeitenwende, aus. Wer denkt da schon an politische Mitbestimmung für das weibliche Geschlecht, obwohl es die Mehrheit der Bevölkerung stellt?

Macht neu verteilen

Doch auch in der Schweiz gärt es. Vor allem in den Städten mobilisieren Studentinnen und Frauenrechtlerinnen für das Wahlrecht und für Gleichberechtigung. Bei einer Einkaufstour kommt Nora mit ihnen in Kontakt. Bis sie sich mit all den Forderungen anfreunden kann, vergeht einige Zeit. Zu weit ist das Leben ihrer Familie von jeglichem Aufbruch entfernt. Nora rackert sich daheim ab, ohne dass davon jemand Notiz nimmt. Ihr Mann Hans hingegen wird in der Schreinerei befördert. Seine Chefin agitiert gegen das Frauenwahlrecht und jegliche andere Reformen zugunsten der Frauen, gründet gar ein „Komitee gegen die Verpolitisierung der Frau“. Fürchtet sie, dass zu viele ihrer Geschlechtsgenossinnen ebenfalls nach Einfluss streben und ihr den Status in der Dorfelite streitig machen? Auf subtile Weise wird deutlich, dass gesellschaftlicher Fortschritt eben auch bedeutet, Macht neu zu verteilen oder neu zu definieren.

Und das fängt häufig im Privaten an. Hans sperrt sich gegen Noras Wunsch, in ihren alten Beruf zurückzukehren. Dieser und andere Konflikte, die hinter all den gepflegten Fassaden schwelen, führen dazu, dass Nora doch die Frauenbewegung für sich entdeckt. Mit einer Handvoll Mitstreiterinnen, darunter eine betagte frühere Gastwirtin und deren Nachfolgerin, eine italienische Pizzeria-Betreiberin, stürzt sie sich in das, was gemeinhin politische Graswurzelarbeit genannt wird. Ihr Ziel: in ihrer Gemeinde so viele Männer wie möglich davon zu überzeugen, für das Frauenwahlrecht zu stimmen. Dafür gilt es, Frauen wie Männer erst einmal darüber zu informieren, worum es bei der Volksabstimmung überhaupt geht.

Einigen Herren der Schöpfung genügt das, um die engagierten Frauen massiv anzufeinden. Erntet Nora bei ihrer Premiere als Moderatorin einer Info-Veranstaltung Häme von der versammelten Männerschar, geht es wenig später weitaus rabiater zu. Doch ihre kleine Truppe lässt sich nicht so schnell einschüchtern. Den Einsatz für das Stimmrecht treiben sie bis zum Streik. Und ganz nebenbei, ebenfalls dem Zeitgeist entsprechend, entdecken die sittsamen Landfrauen ihre Sexualität völlig neu, eine esoterisch angehauchte Schulung macht's möglich.

Gefangen in Rollenbildern

Komisch ist dieser Film vor allem immer dann, wenn die Männer in ihrer Borniertheit vorgeführt werden. Im Alltag mit den oftmals wortkargen und dominanten „Herren des Hauses“ haben Nora und Co. allerdings wenig zu lachen. Opfer waren sie bislang dennoch nicht, eher gefangen in überkommenen Rollenbildern und Moralvorstellungen. Das gilt auch für die Gatten. Hans erscheint keineswegs wie ein geborener Gegner jeglichen Fortschritts, selbst wenn er ihn in seiner Ehe bekämpft.

Wie schon in „Traumland“, einem Episoden-Drama über Migranten und Mittelschichtbürger in der Schweiz, gelingt es der Regisseurin, gesellschaftliche Konfliktlinien in einem übersichtlichen Personaltableau zu verdichten, ohne Klischees zu bedienen. Gerade das Komödiantische begünstigt einen lockeren Erzählstil, der den Zugang zum Thema erleichtert. Und das in einem stimmig inszenierten, aber nicht überzogenen 70er-Jahre-Setting, das keinesfalls museal wirkt, wohl aber ein Gefühl für jene Zeit gibt. Volpe versteht ihren Film überdies nicht nur als Blick zurück, sondern auch als Kommentar zum Erstarken von Rechtspopulisten und Nationalisten in Europa und den USA, die die Geschlechterrollen wieder so sortieren möchten wie in der Schweiz vor 1971. Das macht „Die göttliche Ordnung“ aktueller denn je.

Info: „Die göttliche Ordnung“ (Schweiz 2016), ein Film von Petra Volpe, mit Marie Leuenberger, Max Simonischek, Rachel Braunschweig u.a., 96 Minuten. Jetzt im Kino

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