In Wien lernen die Briefpartner einander 1948 kennen. Die gemeinsame Freundin Ingeborg Bachmann vermittelte den Kontakt. - Klaus Demus, beeindruckt von Celans Gedichten und selbst angehender
Lyriker, hat darum gebeten. Aus der Bewunderung entwickelt sich bald eine intensive Freundschaft. Eindrucksvoll vermittelt sich diese über Briefe. Denn der 1920 in Czernowitz geborene Paul Celan
ist nur auf der Durchreise in Wien: Er, der die Shoah in einem rumänischen Arbeitslager überlebte und dessen Eltern in einem Vernichtungslager der Nationalsozialisten ermordet wurden, befindet
sich auf dem Weg nach Paris.
" ... niemand, der mir so nah wäre wie Ihr"
Der sieben Jahre jüngere Klaus Demus und seine spätere Frau, die Literaturwissenschaftlerin Anna, genannt Nani, verbringen je einen halbjährigen Studienaufenthalt in Paris. Ihre Beziehungen
zu Paul Celan intensivieren sich. "Ich weiß unter meinen Freunden niemand, der mir so nahe wäre wie Ihr", schreibt der Lyriker 1954. Der deutschsprachige Jude aus der Bukowina, zunächst jahrelang
ein Staatenloser, später Inhaber eines französischen Passes, ist ein Außenseiter - nicht nur im Literaturbetrieb.
Klaus und Nani Demus erkennen die herausragende Bedeutung von Celans Werk: "Paul, daß Du heute, in dieser Zeit, solche Gedichte mit solcher Gewalt schreiben kannst, ist ein Wunder, ein
wirkliches Wunder", formuliert Demus 1954. Unausgesetzt spricht das Paar Celan Mut zu und setzt sich für dessen Gedichte ein. Der Lyriker schätzt Klaus Demus' qualifizierte Analysen und nimmt
Ratschläge des Freundes an. - Von all dem zeugt der umfangreiche Briefwechsel. In erster Linie findet er zwischen den beiden Dichtern statt, doch auch Nani Demus und Celans spätere Frau, Gisèle
Celan-Lestrange, sind eingebunden.
" ... wie lieb wir Dich haben"
Fortwährend versichern die Vier einander ihre Zuneigung. Wie dringend Paul Celan dieser Bekundnisse bedarf, kann nur erahnt werden. Von einer "krankhaften Suche nach Zuwendung und
Zustimmung" berichtet Klaus Demus im Nachwort. Er wusste um die prekäre Lage des Überlebenden, der "den Worten und Taten der Menschen gegenüber so verletzlich und empfindlich" war, wie seine Frau
Gisèle in einem Brief formulierte. Doch Klaus Demus kannte auch die Grenzen der eigenen Möglichkeiten: "Nur Du allein kannst Dir helfen, liebster Paul. Wir können Dir nur immer wieder sagen, wie
lieb wir Dich haben", schreibt er.
Diese Freundschaft ist keine Einbahnstraße. Celan setzt sich seinerseits für die Lyrik des Freundes ein. Er vermittelt Kontakte, wirbt, wie Ingeborg Bachmann, bei seinen Verlegern für
Demus' Arbeit - mit Erfolg. Als "Brüder" bezeichnen die beiden Dichter einander.
"Rufmord ist Mord"
Celan lässt den Freund an seinem Leben teilhaben, so gut er kann. Davon zeugt der umfangreiche Briefwechsel, genau wie vom verzweifelten Bemühen um einen Menschen: Die verleumderischen
Plagiatsvorwürfe der Witwe Yvan Golls stürzen Celan in eine existenzbedrohende Krise.
Von einer "durch 'Infamie' losgetretenen Katastrophe" spricht Klaus Demus im Postskriptum des Buches. Zusehends verschlechtert sich Celans psychischer Zustand im Zusammenhang mit der
"Goll-Affäre". "Rufmord ist Mord", formuliert der Dichter 1961. Hilflos sieht sich der Überlebende einer Welt von Feinden ausgesetzt, bricht zahlreiche Kontakte und Freundschaften ab. Als die
Lage sich zuspitzt und Demus in einem Brief seinen Verdacht auf psychische Probleme anspricht, bedeutet das für Celan 1962 das Ende der Freundschaft. Erst mehr als sechs Jahre später nehmen die
beiden den Faden noch einmal auf.
"Ein Geschenk für die Welt"
Mit dem Spätwerk des Lyrikers kann Demus wenig anfangen. Eine aggressive, zerstörerische Tendenz sieht er in den Gedichten. Das mag eine Geringschätzung von Celans singulärem Werk sein.
Doch es ist auch Ausdruck der Freundschaft, die die Spuren der Krankheit in den Gedichten liest, wie der Herausgeber Joachim Seng im Nachwort betont. Celan gegenüber hat Demus seine Kritik nie
ausgesprochen. Zu prekär war die Lage des Lyrikers. Demus "verbot sich jede Äußerung außer der den Freund bestärkenden", wie er im Postskriptum schreibt. Doch helfen kann auch er nicht. 1970
wählt Paul Celan den Freitod.
Sein Schweigen empfindet der 82-jährige Klaus Demus heute als Schuld. Fast 40 Jahre nach Celans Tod gibt er den Briefwechsel zur Veröffentlichung frei. Für Demus ist es die Befreiung von
einer Last. Für den Leser ein einzigartiges Dokument: Ein tiefer Einblick in Celans Leben und ein Erahnen davon, was Dichten nach Auschwitz bedeutet. Was es heißt, als deutschsprachiger Jude, als
Zeuge der Vernichtung, in der Sprache der Mörder zu schreiben. Die Bedeutung dieser Lyrik ist kaum zu ermessen. "Ein Geschenk für die Welt und für sich selbst" nennt Klaus Demus Paul Celan.
Birgit Güll
Paul Celan/Klaus und Nani Demus: "Briefwechsel" herausgegeben und kommentiert von Joachim Seng, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main, 2009, 675 Seiten, 34,80 Euro, ISBN
978-3-518-42122-2
Goetz Schleser
ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.