Kultur

Deutschland und Spanien verlieren eine hingebungsvolle Tochter

von Die Redaktion · 22. Mai 2007
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Helga Diekhoff begann ihre Arbeit für die Spanische Sozialistische Partei (PSOE) im Untergrund. Schon vor dem Tod von General Franco 1975 arbeitete sie als Pressesprecherin von Felipe Gonzales, den Vorsitzenden der PSOE. Dieses Amt behielt sie auch nach der Legalisierung der PSOE 1976 und blieb es bis zum Wahlsieg der Sozialisten 1982. Danach arbeitete sie im Außenministerium, für die spanische Botschaft in Washington, für die Sozialistische Fraktion im Parlament und schließlich bis zum Jahr 2000 als Pressesprecherin von Joaquin Almunia, Nachfolger von Gonzales als Parteiführer der Sozialisten und heute EU-Kommissar für Finanzen.

Die Zeitung El Pais schrieb über sie, sie habe einen maßgeblichen Anteil am Wahlsieg der Sozialisten 1982 und an der Demokratisierung Spaniens gehabt. Als in der Nacht des 23. Februar 1981 Franco-Anhänger einen Putschversuch starteten und das Parlament besetzten, riskierte sie ihr Leben. Vom besetzen Parlament rief sie die Parteizentrale der Sozialisten an. Während ihre Parteiführung von den Putschisten festgehalten und mit Waffen bedroht wurde, gelang es ihr, zu entkommen und die Parteimitglieder zum Widerstand aufzurufen. Sie stand auf der Todesliste der Putschisten.

In Spanien regierte Franco

Helga Diekhoff kam 1961 mit 21 Jahren nach Spanien. Sie wollte die Sprache lernen und danach Sekretärin werden - eine der wenigen Karrieren, die einer Frau im patriarchalen Deutschland offen standen. Spanien wurde zu ihrer neuen Heimat. Überrascht nahm sie den Kontrast zwischen dem steifen und repressiven Adenauer-Deutschland und der emotionalen Offenheit der Spanier wahr. Das verwunderte umso mehr, da Westdeutschland eine Demokratie war, während in Spanien Franco, das Militär, die Kirche und das Kapital regierten.

Sie war vertraut mit den Folgen von Krieg, Niederlage, Besatzung und politischem Wiederaufbau in Deutschland. Sie war eine überzeugte Demokratin, mit einem sicheren Gespür für Gerechtigkeit und die Würde jedes Menschen. In Spanien fand sie etwas Kostbares - einen tiefen Sinn für die Grundfragen unseres menschlichen Lebens. Für Helga wurde dies in den kleinen Gesten des täglichen Lebens sichtbar, z.B. in der Hilfsbereitschaft eines Kellners, die frei war sowohl von Unterwürfigkeit als auch von Arroganz.

Helga kehrte, abgesehen von Besuchen bei Familie und Freunden, nicht nach Deutschland zurück. Trotzdem verband sie, auch bedingt durch ihre außergewöhnliche Karriere in Spanien, vieles mit ihrer Generation in Deutschland. Die kritisierte den nur oberflächlich vollzogenen Wechsel der Nazi-Eltern-Generation zur Demokratie, wie diese Generation Vergangenheit schönredete oder verschwieg und ihren ritualisierten Anti-Kommunismus, der als Politik-Ersatz diente.

Helga schloss sich den Spaniern ihrer Generation an, die davon überzeugt waren, dass nur ein demokratisches Spanien Teil eines neuen Europas werden könnte. Die PSOE wurde dabei auch von deutschen Sozialdemokraten unterstützt - sowohl vor als auch nach ihrer Legalisierung 1976. Das ist eine, wenn auch verspätete, Kompensation für die Unterstützung Nazi-Deutschlands für General Franco im spanischen Bürgerkrieg und für die Zurückhaltung der Adenauer-Regierung, in Franco etwas anderes zu sehen als einen christlichen Politiker.



Pressesprecherin von Felipe Gonzales


Als Felipe Gonzales' erste Pressesprecherin hat Helga Dieckhoff Soto eng mit Willy Brandt und den Sozialdemokraten zusammengearbeitet. In ihrem Büro hing ein Foto von ihr und Willy Brandt, aufgenommen bei einer improvisierten Pressekonferenz in Madrid, mit einem jungen Felipe Gonzales als Zuschauer. In den frühen Jahren der Demokratisierung in Spanien, besonders während der Parlamentswahlen 1982, war sie in der deutschen Presse und im deutschen Fernsehen eine bekannte Person.

Sie beobachtete die deutsche Politik genau, las gerne und viel, vor allem Essays und Romane. Als sie im Außenministerium arbeitete wurde sie eines Tages nach unten gerufen wurde, um mit einem unerwarteten Besucher zu sprechen: Es war ihr Lehrer aus Brake bei Bremen. Der hatte nach Kriegsende seine Schüler mit der Demokratie vertraut gemacht, indem er sie bat, ein Klassenparlament zu wählen.

Helga arbeitete auch einige Jahre als Presseberaterin der spanischen Botschaft in Washington. Es waren politisch spannende Zeiten: Der Kalte Krieg war zu Ende, die Amerikaner evakuierten ihre Militärbasis in Torrejon. In Barcelona fanden 1992 die Olympischen Spiele statt. Europa und die USA feierten die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus 1492. Allerdings ein Ereignis, das beiderseits des Atlantiks unterschiedlich gesehen wurde. Helga blieb ruhigen Blutes, auch wenn sich bei Diskussionen mit amerikanische Bürgern und Amtsträgern herausstellte, dass diese weder über Spanien etwas wussten, noch Sinn für Komplexität hatten.



Sympathie für die amerikanischen Linken


Sie sympathisierte mit der amerikanischen Linken und erkannte früh Bill Clintons Stärken als Präsidentschaftskandidat. "Er ist ein Kämpfer", sagte sie. Auch Dank ihrer mit Freundlichkeit gepaarten Zurückhaltung war sie für Amerikaner - egal ob Republikaner oder Demokraten - jemand, dem man trauen konnte, der Klasse hatte. Besonders liebte sie die Atlantikküste. Ihre Ferien verbrachte sie in Wellfleet auf der Halbinsel Cape Cod, ein beliebtes Urlaubsziel für Künstler, Intellektuelle und Schriftsteller. Sie blieb aber immer skeptisch gegenüber der Vorliebe vieler amerikanischer Intellektueller, lieber am Strand zu diskutieren als schwimmen zu gehen.

Spanien blieb ihre lebenslange Passion. Sie war bekannt, nicht nur bei Mitgliedern der PSOE. Häufig wurde sie in Cafes und Restaurants angesprochen. Häufig ergaben sich dann Diskussionen. Dabei gelang es ihr immer, ihren Gesprächspartner das Gefühl zu geben, dass ihnen jemand zugehört hatte, dass sie wichtig waren. Sie liebte Spanien, seine Landschaft, sein Essen, seine Geschichte und Bräuche. Sie liebte seine Menschen und war glücklich und stolz, an seiner Modernisierung mitgewirkt zu haben.

Nach ihrem Ausscheiden aus der großen Politik blieb sie in ihrer örtlichen Parteiorganisation aktiv, und wurde Vizepräsidentin der Bewegung "Movimiento per Paz, Desarollo, Libertad" (Bewegung für Frieden, Entwicklung und Freiheit). Helga Diekhoff Soto starb an den Folgen einer Herzoperation. Ihre beiden Söhne Dani und Marco leben in Madrid. Deutschland und Spanien haben eine hingebungsvolle Tochter verloren.



Norman Birnbaum, geboren 1926 in New York, ist Soziologe und Publizist und war Politikprofessor am Law Center der Washingtoner Georgetown Universität.

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