Uwe-Karsten Heye, erster Regierungssprecher der rot-grünen Koalition und früherer Chefredakteur des "vorwärts", Kriegskind wie Bundeskanzler Schröder, hat nach seinem Abschied aus dem Amt eine deutsche Familienbiographie geschrieben, "Vom Glück nur ein Schatten". Es ist seine eigene.
Als zweiteiliges TV-Dokudrama unter dem pilcherhaften Titel "Schicksalsjahre" sendet das ZDF am 13. und 14. Februar die Geschichte der jungen Ursula Heye, die in Ostpreußen aufwächst, sich in einen aufstrebenden Opernsänger verliebt, Wolfgang Heye, die ihn heiratet und mit zwei Kindern zurückbleibt, als der junge Mann eingezogen wird und im Abgrund des Krieges zu verschwinden droht - bis er desertiert. Er wird aufgegriffen: ein Jahr Gefängnis. Kaum entlassen, desertiert er erneut, wird wieder gefasst und landet in einem Strafbattallion - jenen Todeskommandos der Wehrmacht, mit denen sich das System noch der eigenen inneren Gegner nutzbringend entledigt.
Der letzte Zug aus Danzig
Ursula Heye hingegen erfährt derweil den totalstaatlichen Druck des NS-Regimes. In Danzig wird sie bedrängt, sich von dem Deserteur scheiden zu lassen, um ihren behördlichen Arbeitsplatz in der Abteilung Truppenbetreuung des Reichspropagandaministeriums zu sichern. Ihr bleibt nichts anderes übrig - ihr Vater, ein so genannter Volksdeutscher polnischer Abstammung, weigert sich, sich "eindeutschen" zu lassen und landet im Gefängnis. Ursula Heye rettet sich und ihre kleine Familie, die inzwischen aus der NS-Gnade gefallen ist - keine Lebensmittelkarten, keinerlei Sozialhilfen - als Krankenschwester und Pianistin, die bei Gelegenheit Lale Andersens "Lilli Marleen"-Auftritte in der Etappe begleitet, bis die Rote Armee vor den Toren Danzigs steht.
Das letzte Schiff verlässt am Morgen des 30. Januar 1945 den Hafen in Gdingen - es ist die "Wilhelm Gustloff" mit mindestens 10 000 Menschen an Bord. Am Abend des selben Tages wird das Schiff von einem sowjetischen U-Boot versenkt, und mehr als 9000 Menschen kamen ums Leben: die größte Schiffskatastrophe der Geschichte. Auf der Passagierliste stand auch die Familie Heye. Doch die Mutter hatte sich entschlossen, den buchstäblich letzten Zug aus Danzig gen Westen zu nehmen. Uwe Heyes Schilderung dieser Zugfahrt bis Rostock, die sich über eine Woche hinzog, gehört zu den bewegendsten Seiten seines Buches. Die Verfilmung lässt sie aus - vermutlich mangels ausreichender Finanzierung.
Kalte Heimat mit kaltem Gemüt
In Rostock erfährt die Mutter, dass ihr (geschiedener) Mann bei einer Minenexplosion ums Leben gekommen ist. Doch das stimmte nicht. Er wiederum entnimmt nach Kriegsende der Passagierliste der
"Gustloff", dass seine Familie in der Ostsee ertrunken ist. Als Ursula Heye mit ihren Kindern wie so viele andere dem totalstaatlichen Milieu der DDR entkommt, landet sie in einer Bundesrepublik,
die den Flüchtlingen aus der "kalten Heimat" mit nicht minder kaltem Gemüt begegnet; doch sie schlägt sich durch als Angestellte einer Druckerei und zählt schließlich zu jenen Millionen so
genannter "Kriegerwitwen", ohne die weder das Wirtschaftswunder, noch die Entwicklung einer rechtsstaatlichen Demokratie möglich gewesen wär, denn ihre Erfahrungen summierten sich zu einem
einfachen politischen Programm: "Nie wieder!"
Durch einen Zufall erfährt sie schließlich in den fünfziger Jahren, dass der totgeglaubte Wolfgang Heye in Stuttgart lebt: Ihr Wiedertreffen ist bitter und folgenlos. Er ist wieder
verheiratet. Seine beiden Kinder bleiben ihm fremd. Die Familie Heye ist endgültig getrennt.
In der Hauptrolle: Maria Furtwängler
Die Verfilmung bemüht sich, dicht an der realen Geschichte zu bleiben, aber noch dichter bleibt sie an dem hinreißend schönen Gesicht der Hauptdarstellerin Maria Furtwängler: Ihre kühle,
unnahbare Art allerdings ist der Rolle der Tatort-Kommissarin wohl eher angemessen als der Zusammenarbeit mit so großartigen Schauspielerinnen wie Rosel Zech oder Pasquale Aleardi und Günther
Maria Halmer. Die bisweilen verwirrenden Schnitte sind der Dramaturgie eines TV-Zweiteilers geschuldet. Den älteren Zuschauern des ZDF wird der Film ein Fenster in die eigene Vergangenheit
öffnen, die jüngeren hingegen mag er daran erinnern, dass die Jahre nach Kriegsende geprägt waren vom Überlebenswillen all jener Frauen, die zu retten versuchten, was ihre Männer zerstört hatten.
Zu sehen ist eine bittere deutsche Geschichte, deren Narben sichtbar bleiben für immer.
Michael Naumann war von 1998 bis 2001 erster Kulturstaatsminister der Bundesrepublik. Seit 2010 ist er Chefredakteur des Monatsmagazins "Cicero".
Das ZDF und die Stiftung Lesen haben eine Broschüre zusammengestellt, die
Bücher zum Themenfeld "Nationalsozialismus, Holocaust, Zweiter Weltkrieg, Vertreibung und Nachkriegszeit" in ganz unterschiedlicher Weise behandeln. Von Autobiografischen
Erzählungen über historische Werke bis hin zu Jugendromanen. Die Broschüre ist bei der Stiftung Lesen gegen 1 Euro in Briefmarken zu beziehen:
Stiftung Lesen
"Schicksalsjahre"
Römerwall 40
55131 Mainz
www.StiftungLesen.de