Kultur

Der Weg zum 11. September 2001

von Dagmar Günther · 1. November 2007

In seiner aufwändigen Untersuchung versucht der Autor auch dem Laien verständlich zu machen, wie Al-Qaida entstand. Mit Hilfe einer dichten Beschreibung verfolgt er die Motivationen der einzelnen Protagonisten. Dabei wird klar, dass die radikale Form des Djihads nicht von dem amerikanischen Staatsfeind Nummer Eins abhängt. Usama Bin Laden ist nur einer von mehreren Vätern des islamischen Extremismus. Wenige kennen die Geschichte von Scheich Abdullah Assam und dem Arzt Ajman al-Sawahiri. Welche Bedeutung sie für das Entstehen des internationalen Terrorismus haben wird in dem Bestseller genauso aufgedeckt wie der Mythos um den Einzelkämpfer Usama Bin Laden.



sachlich, aber nicht neutral


Wright gewann mit seinem Buch den Pulitzer-Preis 2007 in der Kategorie Sachbuch. Zu Recht. Seine spannenden Beschreibungen sind in der Tat sachlich, auch wenn er nicht neutral formuliert. Immer wieder hinterfragt er, wie der fanatische Glaube und die extreme Auslegung des Korans Menschen zu Mördern machen können. Wright erläutert ohne Vorurteile und deckt verschlüsselte Zusammenhänge auf. Zeitlich geht er zurück bis zu den Lehren Sajid Qutb, der die Anfänge des ägyptischen Islamismus prägte.

Breiten Raum nehmen in seinem journalistisch-historischen Bericht das Wirken der Medien und die Rolle Amerikas ein. In intensiver Recherche hat Wright die Verflechtung der internationalen Politik mit der Organisation Al Qaidas - zuerst während des Kalten Krieges, später während der 90er Jahre - analysiert. Wie Al Qaida mit und gegen das FBI, die CIA und die arabischen Geheimdienste kämpfte, wird dabei ans Tageslicht geholt. Im Dunkeln hingegen bleibt, welche Rolle der Koran als Vorlage für grausame Taten einnimmt und ob der heutige Gotteskrieg als "Islam-spezifisch" gelten kann. An manchen Stellen wäre es wünschenswert, hätte Wright sich tiefer gehend mit der Rolle von außerindustriellen oder patriarchalischen Gesellschafts- wie Religionsstrukturen beschäftigt.

beeindruckend und umfangreich recherchiert

Ein Motto der wohl weltweit größten Terrororganisation nennt sich "Zentralisierung der Entscheidung und Dezentralisierung der Ausführung". Dies macht nach Wright das einzigartige Bedrohungspotential Al Qaidas aus, da die so genannten "Schläfer" besonders aufgrund ihrer globalen Vernetzung schwer zu bekämpfen seien. Das Bild vom unberechenbaren Glaubenskrieger wird von Wright unterstützt. Wofür sich der Folgsleute Bin Ladens jedoch in der westlichen Sicherheitspolitik bedient wird, kommt kaum zur Sprache. Allerdings sind in dem Mammut-Werk von 466 Seiten schon derart viele Teilaspekte berücksichtigt, dass Wright kein Vorwurf gemacht werden sollte, wenn er sich auf eine Erzählebene konzentriert.

Seine historische Recherche ist beeindruckend umfangreich. Er benennt soziale Strukturen, doch gelingt ihm keine soziokulturelle Analyse. Wright fndet keine Erklärung für die Ursache einer fanatischen Religionsauslegung, er erläutert ihre Wirkungen. Damit schreibt er eine klassische Politikgeschichte des Islamismus. Die ist spannend und interessant. Schade nur, dass in der deutschen Übersetzung manch sprachliche Nuance verloren geht.

Julia Kleinschmidt

Lawrence Wright: Der Tod wird Euch finden. Al-Qaida und der Weg zum 11. September, aus dem Englischen von Stefan Gebauer und Hans Freundl, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007; ISBN: 978-3-421-04303-0, gebundene Ausgabe;544 Seiten; 24,95 Euro.

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare