Geburt in Polen, Studium an der Pariser Sorbonne, zeitweilig Aufenthalt in Berlin: Mikolaj Lozinski ist in der modernen westlichen Welt herumgekommen. Seine Sicht auf diese ist ganz gewiss nicht nur vom berühmten Vater, dem polnischen Dokumentarfilmer Marcel Lozinski, geprägt. Das ganz Eigene hat er bisher als Literat in Literaturzeitschriften und als Fotograf auf Fotoausstellungen unter Beweis gestellt. In seinem gerade vorgelegte Debütroman "Reisefieber" beleuchtet er das Verhältnis eines Sohnes zur Mutter. Deren früher Tod provoziert den Sohn, dieses zu überdenken. Lange hatten sie keinen Kontakt mehr zueinander. Das bereut er nun zutiefst. Familie heute Die geschilderte Problematik ist von beklemmender Aktualität, denn die globalisierte Welt lässt tradierte Familiengefüge mehr und mehr ins Wanken kommen. Die erwachsenen Kinder ziehen der Arbeit hinterher. Das Single-Dasein wird nicht selten auch bei Geburt eines Kindes nur zum Single-Dasein mit Kind. Oder das Wunsch-Kind wird so lange auf eine spätere Zeit hin geplant, dass es schließlich zu spät dafür geworden ist. Sohn und Mutter So kann die Beziehung zur Mutter auf lange Sicht oder sogar fürs ganze Leben zur wesentlichsten Beziehung eines Mannes zur weiblichen Sphäre werden - jedenfalls, was innere Verbundenheit, Kontinuität und lebenslange Prägung betrifft. All das spielt in Lozinskis Roman in zugespitzter Form eine Rolle, macht es zum Buch eines Kosmopoliten, eines Weltbürgers. Weibliche und männliche Innensichten Das Interessante ist, wie hier die Innensichten der handelnden Personen in Bezug gesetzt werden. Männliche und weibliche Sichten geraten nicht in Gegensatz zueinander ins Blickfeld, sondern in ihrer Verbundenheit. Es gelingt Lozinski darzustellen, wie sie auseinander hervorgehen, miteinander korrespondieren, sich in Frage stellen und bestätigen. Permanenter Perspektivwechsel Daniel, der Romanheld, geht dem eigenen Leben nach, indem er dem der Mutter nachforscht. Er hat zu wenig von ihr gewusst. Was er über ihr und sein Gewordensein erfährt, lässt ihn reifen. Es verändert auch seine Beziehung zu Anna, die er nicht mitgenommen hat auf die Reise zu seiner toten Mutter, mit der er aber in einen gedanklichen Dialog eintritt. Der schließlich führt ihn dazu, die Distanz zu ihr endlich aufzugeben: sowohl räumlich als auch innerlich. Das alles liest sich auch wegen der permanenten Perspektivwechsel sehr spannend. Mikolaj Lozinski "Reisefieber", Roman, Aus dem Polnischen von Roswitha Marwin-Buschmann, DVA2008, 206 Seiten, 17,95 Euro, ISBN 978-3-421-04287-3
ist freie Autorin, Vorstandsmitglied des Verbands deutscher Schriftsteller im ver.di-Landesverband Berlin sowie stellvertretende Vorsitzende des Kulturwerks Berliner Schriftsteller e. V.