Unter der Moderation von Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk, erörterten Günter Jeschonnek, Dr. Hans-Jürgen Fischbeck, Wolfgang Templin und Wolfgang Rüddenklau das Spannungsverhältnis zwischen
Opposition und Ausreise.
"Lass mich nicht allein mit Honecker im Dunkeln", zitierte Wolfgang Templin von der Initiative Frieden und Menschenrechte die Stimme der Zurückbleibenden. Diese flehende Bitte war mehr als
eine ironische Anspielung auf den Palast der Republik, der im Volksmund auch "Honeckers Lampenladen" genannt wurde. Sie war Ausdruck tiefer Verzweiflung. Allein zwischen 1949 und 1961 flohen etwa
2,6 Millionen Menschen aus der DDR, einschließlich Ost-Berlin.
Klasse statt Masse
Der Eintritt in die OSZE Mitte der 70er Jahre machte es dem Regime unmöglich, ein Ausreisverbot zu verhängen. Die Ausreisewilligen überstiegen rasch das Maß des zumutbaren. Die DDR griff zu
Mitteln der Einschüchterung, um den Zustrom in den Westen zu stoppen. Die Angst in der Bevölkerung war groß. Das Verlassen der Familie zählte zu den eher harmlosen Varianten, Fälle von
Gefängnisstrafen oder sogar Selbstmord waren bekannt. Auch Wolfgang Templin erinnert sich. Seine Mutter wollte als Arbeiterin ins Ruhrgebiet. Da sind die anderen auch schon hin, so ihre Worte. "Die
Familie blieb schließlich in Jena" fügte der Bürgerrechtler hinzu.
Oppositionelle machten dennoch oft vom Ausreisebegehren Gebrauch - ohne Rücksicht auf Verluste. "Man wollte der SED gemeinsam Druck machen", erinnerte sich Günter Jeschonnek, Arbeitsgruppe
für Staatsbürgerschaftsrecht der DDR. Der Massenexodus der ehemaligen DDR-Bürger fügte dem Staat einerseits einen empfindlichen Schaden zu. Es waren oftmals junge, gut ausgebildete Menschen, die
das Land verließen. Gleichzeitig reduzierte sich so der Anteil der Systemkritiker auf ein Minimum. Die Masse mache es, dessen war sich Günther Jeschonnek bewusst. Es müssten sich viele verbünden.
"Ich hatte gute Kontakte zu der Kirche und suchte die Kontakte zu den oppositionellen Gruppen", erläuterte der Bürgerrechtler sein Vorgehen. Die revolutionäre Masse war sich trotzdem nicht immer
einig.
Nicht alles Gold, was glänzt
Die revolutionäre Masse war sich trotzdem nicht immer einig, denn wer ging, glaubte nicht an die Reformierbarkeit des Sowjetstaats. Der entschied sich für ein Leben in vermeintliche Wohlstand
und in Freiheit. Wer blieb, wollte das System zwar ändern, aber es nicht aufgeben. Der beobachtete das sozialistische Aufbauexperiment, wollte Heimat, Freunde und Familie nicht verlassen. Diese
Gegensätze wurden auch zur Zerreißprobe innerhalb der alternativen Opposition. "Wer die DDR verließ, der wurde als Verräter angesehen", ergänzte Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk. Das revolutionäre
Potenzial verlor an Zugkraft.
"Die BRD war nicht das Ziel unserer Sehnsucht", stellte dagegen Dr. Hans-Jürgen Fischbeck, Initiative Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung klar. Seiner Ansicht nach sei der
Staatssozialismus nicht reformierbar gewesen, dennoch wäre auch der kapitalistische Westen nicht in der Lage gewesen, die Herausforderungen der Zeit zu meistern. Er favorisierte einen "neuen Weg".
"Ich wünschte mir mehr Gerechtigkeit für die DDR", unterstrich der Bürgerrechtler von "Demokratie Jetzt!".
Ein ähnliches Bild hat auch Wolfgang Rüddenklau, von der Umwelt Bibliothek in Ost-Berlin, dem größten Informations- und Kommunikationszentrum der DDR Opposition. "Das Westfernsehen im Osten
führte dazu, dass sich in den Köpfen der Menschen ein märchenhaftes Wunschbild der BRD abzeichnete", sagte der Journalist. Auch er trat für eine Reform des DDR ein. Der zu reformierende Staat
existiert bloß nicht mehr.
Anke Schoen
0
Kommentare
Noch keine Kommentare