„Der Fall NSU ist längst nicht abgeschlossen“
Als im November 2011 die Terrorserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) bekannt wurde, schien die Sache schnell klar. Zehn Morde, begangen von zwei rechtsextremen Terroristen, die sich auf der Flucht vor der Polizei selbst erschossen hatten; übrig war Beate Zschäpe, die sich zwar der Polizei stellte, seither vor Gericht aber eisern schweigt.
„Es gibt Hinweise, dass der NSU viel größer und weiter verzweigt ist als bisher angenommen wird“, mahnte der Journalist Andreas Förster am Samstag auf der Frankfurter Buchmesse. „Geheimsache NSU“ heißt das Buch, für das sich Förster und neun Kollegen drei Jahre mit der NSU-Mordserie aus unterschiedlichen Perspektiven beschäftigt haben. Sie beobachteten die verschiedenen Untersuchungsausschüsse auf Bundes- und Länderebene sowie den laufenden Münchner Prozess gegen Beate Zschäpe. Sie haben Hunderte von Ermittlungsakten ausgewertet und pflegen Kontakte zu Insidern.
Försters Fazit: „Wir haben es mit zwei Verschwörungen zu tun“ – mit dem NSU auf der einen und dem Vorgehen der Geheimdienste auf der anderen Seite. „Es gibt ein eindeutiges Versagen des Verfassungsschutzes und seiner Aufsichten.“
Kein Blatt Papier für den Untersuchungsausschuss
Dieses in Hessen zu untersuchen, ist die Aufgabe von Nancy Faeser. Die Landtagsabgeordnete ist Vorsitzende der Parlamentarischen Kontrollkommission für den hessischen Verfassungsschutz und Obfrau der SPD im NSU-Untersuchungsausschuss. „Es ist der erste Untersuchungsausschuss der Bundesrepublik, der streitig vonstatten geht“, bedauerte Faeser auf dem vorwärts-Podium. Die Regierungsfraktionen hätten dafür gesorgt, „dass wir bis heute kein Blatt Papier Akten bekommen haben“.
Doch das Versagen der Geheimdienste ist auch ohne diese Informationen offensichtlich. Für Nancy Faeser ist deshalb klar: „Wir brauche mehr parlamentarische Kontrolle für den Verfassungsschutz.“ Die Auswahl so genannter V-Leute will die Innenpolitikerin zudem „auf eine unabhängige Stelle“ übertragen. Und: „Der Verfassungsschutz muss mit seiner Arbeit viel mehr in die Öffentlichkeit.“ Es müsse klar sein, „was die dort machen“.
„Es ist gut, dass es nun endlich auch in Hessen einen Untersuchungsausschuss zum NSU gibt“, lobte Andreas Förster. Die Geheimdienste hätten über Jahre eine falsche Strategie verfolgt – abgesegnet von der Politik. Nun werde aus Angst vor der Mitverantwortung vertuscht. „Der Fall NSU ist längst nicht abgeschlossen.“
Andreas Förster (Hg.): Geheimsache NSU. Zehn Morde, von Aufklärung keine Spur, Klöpfer & Meyer, Tübingen 2014, 22 Euro, ISBN 978-3-86351-086-2
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.