Kultur

Der Balkan – Annäherung an ein Phantom

von Gernot Erler · 22. November 2009
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Olaf Ihlau und Walter Mayr beleuchten die Tragödie auf dem "unruhigen Hinterhof Europas", deren Zeuge wir seit Beginn der 90er Jahre geworden sind, indem sie geschichtliche Zusammenhänge darstellen, die Hauptdarsteller porträtieren und zahlreiche Zeitzeugen zu Wort kommen lassen.

Unerledigte Herausforderungen

Viele schwer erträgliche Details über Hassausbrüche und Grausamkeiten, in unserer zeitgeschichtlichen Erinnerung abgespeichert, werden noch einmal der Verdrängung entrissen, um sie einzuordnen - in das Netzwerk der historischen Mythen, der unvergessenen Verletzungen und der unersättlichen Rachsucht, in dem sich jede Politik in dieser Region bis heute verfängt. Die Autoren vermeiden dabei jegliche Schönfärberei. Für Ihlau und Mayr sind die großserbischen, großkroatischen und großalbanischen Träume noch längst nicht ausgeträumt. Vor allem das instabile Bosnien bleibt für sie als Land der Angst und des Hasses eine unerledigte Herausforderung. Mit der westlichen Politik gehen sie hart ins Gericht. Sie nennen die Unabhängigkeit Kosovos "Europas Sündenfall", bestraft von der "Unersättlichkeit" der Langzeit-Protektorate in Priština und Sarajevo. Mit Srebrenica verbinden sie ein Versagen der internationalen Gemeinschaft: "UNO wie NATO und EU machten sich mitschuldig an dem Massenmord".

Am dichtesten wird der Text bei der Beschreibung der geschichtswirksamen serbischen Volksmythen, in der Nachzeichnung der bosnischen Tragödie bis in die Gegenwart, mit einer beunruhigenden Recherche über Aktivitäten islamistischer Fundamentalisten im heutigen Sarajewo, und mit der Rückkehr an die Tatorte in Srebrenica, Foča, Mostar und Dubrovnik. Auch die Ausflüge nach Albanien und Montenegro, letzteres gesehen auf dem Weg "vom Schmuggelparadies zum russischen Protektorat", profitieren von der Kombination historischer Hintergründe und aktueller Reportagen.

Wachsendes Desinteresse
Wo die Autoren ihr eigentliches Metier Westbalkan verlassen und mal nach Bulgarien und Rumänien rüberschauen, bleiben sie dagegen ziemlich an der Oberfläche. Und sie beklagen zwar das wachsende Desinteresse des Westens an dem immer noch brisanten balkanischen Minenfeld, halten sich aber mit konkreten Ratschlägen zurück. Die muss sich die Politik immer noch selber erarbeiten - das Buch von Ihlau und Mayr kann dabei immerhin helfen.

Gernot Erler, MdB, Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft, München

Olaf Ihlau, Walter Mayr: "Minenfeld Balkan. Der unruhige Hinterhof Europas", Siedler Verlag, München 2009, 304 Seiten, 22,95 Euro, ISBN 978-3886809165

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Autor*in
Gernot Erler

ist Vorsitzender des Erhard-Eppler-Kreises.

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