Kultur

Das süße Gift für jeden Tag

Man kann ihm kaum entkommen, doch auf Dauer wird er gefährlich: Der Zucker. In einem Selbstversuch zeigt der australische Filmemacher und Schauspieler Damon Gameau, in welchem Tempo die weiße Droge unseren Organismus verändert.
von ohne Autor · 30. Oktober 2015
Schwer verdaulich: eine Tagesration an Energie
Schwer verdaulich: eine Tagesration an Energie

Lange Zeit galt er vor allem Fett als Dick- und Krankmacher. In letzter Zeit warnen Experten zunehmend vor raffiniertem Zucker. Also vor jenem Zusatz, der, ob offen oder unter anderem Namen, dem größten Teil der Lebensmittel in den Supermarktregalen beigemengt wird – selbst wenn diese als „natürlich“ vermarktet werden. Besonders heikel ist der raffinierte Industriezucker, der zur Hälfte aus Traubenzucker und Fruchtzucker besteht – letzteren kann unser Körper nur schwer abbauen. Bei übermäßigem Konsum drohen Übergewicht, Herzkrankheiten und Diabetes. Gameau nahm die weltweit geführte Debatte zum Anlass, um einen ungewöhnlichen Selbstversuch zu wagen. Jahrelang hatte er nach eigener Aussage gänzlich zuckerfrei gelebt. Nun wollte er sehen, was mit ihm passiert, wenn er zwei Monate lang die tägliche Zuckerration eines durchschnittlichen Australiers zu sich nimmt. Diese liegt bei 40 Teelöffeln. Gameau wollte diese Menge allerdings nicht mit Fastfood oder Softdrinks erreichen, sondern indem er ausschließlich zu den von der Lebensmittelindustrie als „gesund“ deklarierten Säften, Soßen, Joghurts, Müslis und so weiter greift. Das Ergebnis des von Ärzten und Ernährungsexperten begleiteten Experiments gibt nicht nur Gameau zu denken.

Reise durch Organe

Wer könnte sich vorstellen, zwischen Frühstück und Abendbrot 40 Stück Würfelzucker zu verputzen? Genau das tun zahllose Menschen in Wohlstandsgesellschaften – sicherlich nicht nur down under. Oftmals gehen sie der Verschleierungstaktik der Konzerne auf den Leim. „Was früher bei Zigaretten möglich war, geht heute beim Zucker“, sagt einer vom Gameaus Beratern im Film. Minutiös schlüsselt der Regisseur und Hauptdarsteller die Bestandteile seiner Verpflegung auf, um sein tägliches Quantum Zucker zu berechnen und zu sich zu nehmen. Parallel dazu zeigt der Film, was die süße Alltagsdroge mit dem Körper anstellt. Zum Beispiel, indem Gameau den Zuschauer mit auf die Reise durch animierte Blutbahnen und Organe nimmt – stets auf der Spur von Zucker- und Fettmolekülen.

Auch die Aussagen von Forschern werden mit Animationen aufgehübscht. So bleibt das Ganze nah an der aktuellen Ästhetik von eher auf Unterhaltung geeichten Dokumentationen. Dennoch sind Gameaus „Erklärbär“-Passagen ebenso informativ wie anschaulich. Das dürfte eine Grundlage dafür sein, eine jüngere Zielgruppe anzusprechen. Aber auch reifere Zuschauer hält dieser Stil bei der Stange.

Weltweite Blutspur

Darüber hinaus begibt sich Gameau auf eine Reise entlang der „Blutspur“ des Zuckers. In Australien besucht er eine Aborigines-Gemeinde. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ernährten sich diese Menschen weitgehend von dem, was sie anbauten oder fanden. Damit lebten sie nicht nur, so scheint es, ziemlich gut, sondern auch ziemlich gesund. Bis auch dort die gesüßten Produkte Einzug hielten und die Menschen krank machten. Mit staatlicher Unterstützung sagten sich die Ureinwohner von der süßen Dauerberieselung wieder los. In den USA spürt Gameau dem Zusammenhang zwischen Armut und erhöhtem Zuckerkonsum nach und kommt zu niederschmetternden Erkenntnissen.

Die dunkle Seite des Zuckers ist schon länger unbestritten. Gameau weist immer wieder nachdrücklich darauf hin. Umso mehr erstaunt die von seinen Interviewpartnern kritisierte Haltung der Lebensmittelbranche, alles beim Alten lassen zu wollen. Dass sich aus den Industriellen-Kreisen niemand vor der Kamera äußert, spricht wohl für sich.

Gute und schlechte Kalorien

Und der Selbstversuch? Nach zwei Monaten hat Gameau, der auch ein Begleitbuch zum Film veröffentlicht hat, nicht nur gut acht Kilo mehr auf den Rippen. Seine Blutwerte ergeben, dass er auf dem besten Wege zur Fettleber ist. Ein erstaunlicher Befund, denn angeblich hat er die gleiche Zahl an Kalorien zu sich genommen wie zuvor. Dass reine Kalorienzahlen, zum Beispiel auf Joghurtschachteln, nicht das alleinige Kriterium für die tatsächliche Verträglichkeit von Lebensmitteln sind, gehört  zu den – wissenschaftlich untermauerten – Kernaussagen dieses Films. Frei nach dem Motto: Es gibt gute und schlechte Kalorien. So enthusiastisch sich Gameau eingangs auf teilweise skurrile Weise auf den Zucker-Trip begibt, versucht er hinterher, die Folgen wieder abzuschütteln. Sein Eifer dürfte auch von dem Bestreben rühren, seiner Tochter, die in dieser Zeit geboren wird, den Weg in eine bessere Ernährungswelt zu weisen.

Jener – in seinen konkreten Auswirkungen ohnehin kaum überprüfbare – Selbstversuch ist an sich nicht neu – man denke nur an Morgan Spurlocks Fastfood-Dokumentation „Super Size Me“ von 2004. So finden sich die erhellenden Momente vor allem dann, wenn Gameau seinen Fokus auf die globalen Folgen des Zuckerwahns erweitert, wenngleich manche skurrile Sequenz über das Ziel hinausschießt. Andererseits macht er mit seinem Experiment deutlich, was das alles mit jedem Einzelnen zu tun hat. Und wie wir der zuckrigen Falle entkommen können.

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