Kultur

Das Prinzip Fortschritt

von Ulf Lindner · 29. September 2008
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Ist die Welt heute besser ist, als sie es gestern war? Diese Frage steht am Anfang seiner Bestandsaufnahme. Werner Mittelstaedt beantwortet sie mit einem klaren Nein. Er greift auf Umfrageergebnisse in der Bevölkerung zurück und verweist auf konkrete Fehlentwicklungen: die steigende Zahl von Hungernden in der Welt, der weitgehend erfolglose Kampf gegen den Terrorismus, ausufernde Folgen der Klimaerwärmung oder das Auseinanderreißen der sozialen Schere in nationaler wie globaler Dimension. Als Ursache für diese Entwicklung, die mehr Verlierer als Gewinner kenne, bringt Mittelstaedt das bestimmende Fortschrittsdenken des Westens in die Debatte ein, welches auch für die übrige Welt prägend sei. Den Glauben, dass Wirtschaftswachstum unter den ungezügelten Spielregeln des Neoliberalismus automatisch zur Verbesserung allgemeiner Lebensbedingungen führe und die durch die wirtschaftliche Dynamik beflügelte Wissenschaft und Technik die im Zuge des Wachstums auftretenden Probleme von alleine löse, verwirft Mittelstaedt als Irrweg. Diese Philosophie der Maßlosigkeit, die Raubbau an der Umwelt und soziale Rücksichtslosigkeit antreibt, sei Ursache nicht Lösung der globalen Probleme. Ein Umdenken sei nötig.

Nachhaltiges Fortschrittsdenken

Als Konsequenz fordert Mittelstaedt ein neues Fortschrittsmuster. Dieses müsse sich dem Prinzip der Nachhaltigkeit verpflichtet sehen und zum Erhalt der Umwelt für unsere Nachwelt ressourcenschonender agieren. Neben der ökologischen Dimension werde dabei auch ökonomisches und gesellschaftliches Umdenken nötig sein. Im Sinne einer solidarischen Weltordnung mahnt er engagierte Schritte zur Bekämpfung von Armut und Ungleichheiten an. Er spricht hierbei insbesondere die Industrienationen des Westens an. Zwar räumt Mittelstaedt ein, dass erste Schritte hierzu - etwa im Rahmen der UNO Milleniumsziele - erkennbar, diese aber nicht ausreichend Erfolg versprechend seien.

Zweite Aufklärung

Eine zweite Aufklärung sei von Nöten. Deren Ziel müsse es sein, den Menschen die deutlichen Missstände in der Welt und deren komplexes Ursachengeflecht klar zu machen. Nur so entstehe eine "kritische Masse an Wissenden", die verantwortungsbewusst den Kampf gegen Ökonomisierung und Profilierung und für ein nachhaltiges Fortschrittsmuster aufnehme. Zudem sei mehr gesellschaftliche Anerkennung für solche Aktivisten einzufordern. NGOs wie AI oder Greenpeace könnten nur Ansätze sein zur Korrektur der Fehlentwicklungen. Diese müssten um ein starkes Engagement aus der Mitte der Gesellschaft, ähnlich der 68er-Generation, ergänzt werden.

Fazit

Zweifelsohne greift Mittelstaedt in diesem Buch eine Vielzahl virulenter Fehlentwicklungen auf, jedoch ohne die Diskussion wirklich gewinnbringend zu ergänzen. Zu sehr bleib der Inhalt des Buches fixiert auf die berechtigte aber eben keineswegs neue Kritik an globalen Problemstrukturen: Umweltzerstörung, Armut, Menschenrechtsverletzungen. Seine Forderung nach einem nachhaltigen Fortschrittsdenken ist keineswegs ein Novum. Der Gedanke der Nachhaltigkeit ist bereits seit Jahren in der Politik angekommen. So verweist Mittelstaedt ja selbst exemplarisch auf die Millenniumsziele der UN.

Das tatsächliche Problem scheint also nicht das mangelnde Bewusstsein zu sein, sondern die Schwierigkeit, dieses Fortschrittsprinzip praktisch umzusetzen. Der Gedanke einer zweiten Aufklärung kann kaum als realistische Chance zur Lösung der Probleme gesehen werden. Zum einen geht Mittestaedt von einer globaprägenden Wirkung der westlichen Nationen Nordamerikas und Europas aus, die aber angesichts des massiven Aufstrebens ehemaliger Schwellenländer wie China zunehmend ins Wanken gerät. Zudem entsteht ein durchdringender Wandel gesellschaftlicher Wertestrukturen nicht über Nacht. Wie dieser aber angestoßen werden kann, bleibt im vorliegenden Buch offen. Auch ist kritisch zu hinterfragen, ob eine Lösungsstrategie nur über den Weg eines Radikalwandels oder nicht realistischer auch unter Akzeptanz existierender ökonomischer Spielregeln möglich ist. Der Handel von Emissionsrechten und das Einbeziehen von Umwelt als Kapitalfaktor weist in diese Richtung.

Werner Mittelstaedt: Das Prinzip Fortschritt, Ein neues Verständnis für die Herausforderungen unserer Zeit, Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main 2008, br., 201 Seiten, 19,80 €. ISBN: 978-3-631-57527-7

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