Norbert Walter-Borjans ist Kämmerer in Köln. Im vergangenen Sommer wurde sein Name bundesweit bekannt. 30 Prozent Kürzungen im Kulturbetrieb habe Walter-Borjans gefordert, hieß es. Das schlug ein wie eine Bombe. Der SPD-Politiker grinste schief, als er in der Berliner Akademie der Künste von seinem zweifelhaften Ruhm berichtete. "Macht Not erfinderisch? Kultur in Zeiten der Krise" lautete das Thema beim 32. Akademie-Gespräch. Da durfte der 30-Prozent-Mann nicht fehlen. "Wollten Sie provozieren?", fragte Moderatorin und rbb-Redakteurin Claudia Henne. Wieder ein schiefes Grinsen. "Ich habe diese Forderung so nie aufgestellt", sagt der Kämmerer.
Und setzt nach: "Aber auch nicht dementiert, denn, ja, ich wollte diesen Paukenschlag. Dass die Leute merken, die Lage ist ernst." Gerne würde er die Kultur für unantastbar erklären, so Walter-Borjans. "Aber was mache ich dann mit den Schultoiletten, die dringend saniert werden müssen?" Die finanzielle Lage der Kommunen sei "beängstigend" attestierte Kultur-Journalistin Henne. Ob und wenn ja wie unter diesen Bedingungen Kunst überhaupt noch machbar sei, darum sollte es gehen an diesem Abend. Katja Wolle, Bürgermeisterin und Kulturdezernentin der Grenzstadt Frankfurt / Oder meint, es wurde genug gespart: Erfinderisch sei man schon gewesen. Nachdem vor einigen Jahren die Theater der Stadt aus Geldmangel geschlossen wurden, spielt nun das Ensemble des Potsdamer Theaters regelmäßig in Frankfurt.
Kultur als Standortfaktor?
International anerkannt ist nach wie vor das Brandenburgische Staatsorchester mit Sitz in Frankfurt. "Was sollen wir tun, an die Qualität des Orchesters gehen? Irgendwann muss man auch Widerstand leisten", so die Sozialdemokratin Wolle. Und mahnt in Richtung der Ökonomen: Schließlich sei die Kultur auch ein Standortfaktor. "Unser einziger verbliebener Wirtschaftsfaktor ist der Tourismus. Und viele kommen eben auch zu unseren Festivals und Konzerten."
Auch Akademie-Präsident Klaus Steack forderte auf, weitere Kürzungen der Kulturlandschaft nicht hinzunehmen, sondern sich politisch einzumischen. "Ich sehe den Kämmerer als Partner. Die Kommunen werden doch seit Jahren ausgehungert."
Für Jochen Sandig hingegen sind die Künstler selbst Teil des Problems. Der Berliner Kulturunternehmer wetterte gegen Intendanten und Opernsänger, die nur noch die Höhe ihrer Gagen verglichen.
Sandigs Kultureinrichtung Radialsystem erhält keine Förderung sondern finanziert sich über Vermietungen der Räume und Kooperationen. Dass solche Querfinanzierungen nicht überall möglich sind und
auch ihre Tücken haben, darauf verwies Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstdammlungen Dresden. "In manchen Bereichen braucht man Verlässlichkeit. Wenn mein Restaurator nicht von
seinem Vorgänger eingewiesen wurde, wie er ein Werk behandeln muss, geht dieses Wissen verloren. Und damit bald auch das Werk." Politik müsse sich entscheiden, ob und welche Kunst sie erhalten
wolle. "Aber wenn wir das tun, passt es ihnen auch nicht", konterte Walter-Borjans. "Das mag sein", so Roth, aber Entscheidungen müssten dringend her. "Und dann tut es eben auch mal weh."