Kultur

Dämonen und Wunder – Dheepan

Wenn der Sehnsuchtsort zum Schlachtfeld wird: Radikal und packend schildert das Drama „Dheepan“, wie sich eine Notgemeinschaft von Flüchtlingen in der neuen Heimat Frankreich durchkämpft.
von ohne Autor · 14. Dezember 2015
Früher Rebell, jetzt Hausmeister: Dheepan (Jesuthasan Antonythasan)
Früher Rebell, jetzt Hausmeister: Dheepan (Jesuthasan Antonythasan)

Die Geschichte um drei Menschen aus Sri Lanka beginnt als Reise durch die Nacht. Wirklich lichte Momente halten sich auch später in Grenzen, mag am Anfang auch Hoffnung gestanden haben. Der tamilische Rebell Dheepan flieht vor dem Bürgerkrieg in seinem Land. Das Ziel heißt Frankreich. Als Familie kommt man leichter an Papiere. Seine Lieben hat Dheepan gerade bestattet. Also muss Ersatz her. Der ist im Flüchtlingslager schnell gefunden. Wenig später tingelt der Ex-Freiheitskämpfer als illegaler Straßenhändler durchs nächtliche Paris.

Die Traumata des Krieges können langlebig, wenn nicht gar unverwüstlich sein: Immer wieder ist davon in Berichten über geflüchtete Menschen die Rede. In diesem Film werden sie konkret. Nicht nur Dheepan leidet, sondern auch seine fingierte Familie. Nur mühsam finden die falsche Ehefrau Yalini, „Tochter“ Illayaal und der „Vater“ zueinander. Hinzu kommen die Mühen, sich in der neuen Umgebung einzuleben. Die drei landen in einer heruntergekommenen Siedlung im Umland von Paris. Dort haben rivalisierende Drogenbanden das Sagen. Polizei und Behörden scheinen die Gegend aufgegeben zu haben.

Alte Wunden

Das Trio versucht sein Bestes, sich zu integrieren. Doch wie soll das in diesem Reich von Anarchie und Gewalt gelingen? Zumal dort unsichtbare Linien gezogen werden, die zu überschreiten das Leben kosten kann. Dheepan arrangiert sich und geht seinem neuen Job als Hausmeister stoisch und korrekt nach. Ordnung muss sein. Für ihn ist das auch eine Frage der Würde. Doch das Leben im angeblich so sicheren Europa wird zunehmend zum Höllentrip. Nicht nur bei Dheepan brechen alte Wunden wieder auf. Und aus dem Hausmeister wird wieder ein Kämpfer.

Die eindringliche Geschichte von drei durchaus konträr gelagerten Menschen, die vor dem einen Krieg fliehen und in einem anderen landen, erntete dieses Jahr in Cannes die Goldene Palme. Regisseur Jaques Audiard ist dort weitaus kein Unbekannter: Vor sechs Jahren 2009 wurde dort sein Gefängnisdrama „Der Prophet“ mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet. 2013 war er mit dem Liebesdrama „Der Geschmack von Rost und Knochen“ im Wettbewerb vertreten. Immer wieder setzt sich der 1952 geborene Franzose mit aktuellen gesellschaftlichen Themen auseinander und schaut auf die Ränder der Gesellschaft.

„Dheepan“ ist allerdings alles andere als eine Sozialstudie. Es geht nicht darum, zu verstehen, wie die Welt, in der die drei Tamilen gelandet sind, funktioniert. Dafür ist die Perspektive viel zu sehr auf die kleine Schicksalsgemeinschaft beschränkt. Genau wie sie sind auch die Zuschauenden immer wieder baff. Ihre Realität wird unsere. Der Blick ist viel mehr auf die innere Entwicklung der Neuankömmlinge und auf die Dynamiken gerichtet, die sich zwischen ihnen entwickeln. Yalini findet wenig Gefallen an der Mutterrolle und sucht sich ebenfalls einen Job. Viel lieber würde sie zu ihrer Cousine nach England weiterreisen. Illayaal scheint sich in der Schule rasch eingelebt zu haben und mausert sich zum Integrationsmotor für die anderen. Und Dheepan nimmt seine Rolle als Ernährer und Vater so sehr an, dass er dieses Leben nicht wieder hergeben will. Doch wo bleibt die Liebe? So erleben alle drei die Berührung mit dem neuen Alltag auf ganz unterschiedliche Weise. Ein Alltag, der zunehmend an den Ort erinnert, dem man entkommen wollte. Gerade Dheepan bleibt ein Rätsel, wenngleich etwas in ihm unentwegt arbeitet. Hat er sein  Soldatenleben mit all seiner Brutalität wirklich hinter sich gelassen?

Persönlich betroffen

Frontschwein gegen Zivilistin, Suche nach Nähe, den anderen auf Distanz halten, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit: Sehr lange ist das, was das Trio zusammenhält oder trennt, schwer zu durchschauen. Gleichzeitig eskaliert der Bandenkrieg draußen vor der Tür des Sozialbaus. Daraus ergibt sich eine permanente Spannung, die Audiard zum Ende hin mit den Mitteln des Thrillers explodieren lässt. Dabei besticht nicht nur die gleichsam subtile wie wuchtige Bildsprache, die mit kargen Dialogen auskommt und auch traumwandlerischen Momenten Raum bietet. Auch das intensive Spiel der Hauptdarsteller trägt viel zur Wirkung bei. Was erstaunt, denn Jesuthasan Antonythasan (Dheepan), Kalieaswari Srinivasan (Yalini) und Claudine Vinasithamby (Illayaal) hatten vorher kaum oder gar keine Erfahrungen vor der Kamera geammelt. Die Vertrautheit mit der Materie war allerdings gerade bei Jesuthasan Antonythasan gegeben: Jahrelang kämpfte er bei den Befreiungstigern von Tamil Eelam. Später verarbeitete er seine Erfahrungen in einem Roman.

Der Blick durch die Flüchtlingsbrille ist nicht nur ehrenwert, sondern eine lohnende, aber selten genutzte künstlerische Herausforderung: Diese im Grunde genommen schlichte Einsicht belegt „Dheepan“ packend, radikal und ästhetisch vollendet.

Info: Dheepan – Dämonen und Wunder (Frankreich 2015), Regie: Jaques Audiard, Drehbuch: Noé Debré, Thomas Bidegain und Jaques Audiard, mit Jesuthasan Antonythasan, Kalieaswari Srinivasan, Claudine Vinasithamby, Vindent Roittiers u.a., OmU, FSK ab 16. Jetzt im Kino

0 Kommentare
Noch keine Kommentare