Kultur

Countdown zur Gosse

von ohne Autor · 4. April 2014

So erbaulich kann es sein, seine Schulden auszublenden: Mit karger Ästhetik und schrägen Zwischentönen erzählt der Film „Sunny Days“ davon, wie ein zielloses Dasein dem Abgrund entgegen treibt.

Selten erreichen Filme aus Zentralasien die Kinos hierzulande. Es gehört zur leidigen Tradition jener postsowjetischen Republiken, auch die Kultur unter die Fuchtel des jeweiligen autoritären Regimes zu stellen. So bleiben die Bruchstellen dieser Gesellschaften, die (energie-) wirtschaftlich eng mit Russland verzahnt sind, aber politisch längst eigene Wege gehen, meist unerzählt. 

So auch im neuntgrößten Land der Erde, Kasachstan. Immerhin ergatterte die kasachisch-deutsch-französische Koproduktion „Harmony Lessons“ im vergangenen Jahr einen Silbernen Bären bei der Berlinale. In jenem Drama greift ein Junge zu äußersten Mitteln, um sich gegen die Gewalt und Ausgrenzung an seiner Dorfschule zu wehren.

Von derlei Heroismus kann in „Sunny Days“ keine Rede sein. Eher liefert der kasachische Regisseur und Drehbuchautor Nariman Turebayev eine intime Studie über die Lethargie junger Menschen in einem Milieu, das sich während der letzten Jahre als Mittelschicht herausgebildet hat, wenngleich es als solche vom europäischen Pendant weit entfernt ist. 

Ein namenloser Endzwanziger hockt in seiner Küche und starrt auf den Tisch. Oder mit seinem Freund bei Bier und getrocknetem Fisch in der Kneipe. Man spricht Russisch, doch die Gewissheiten aus Sowjetzeiten sind dahin. Indes verträgt sich die Antriebslosigkeit überhaupt nicht mit seiner gegenwärtigen Lage. Zahlt er nicht innerhalb von einer Woche seine Mietschulden, ist die Wohnung futsch. Strom und Gas sind ohnehin schon abgestellt: keine behaglichen Umstände im winterlichen Almaty, der einstigen Hauptstadt Kasachstans, bevor das Regime von Nursultan Nasarbajew beschloss, sich mitten in der Steppe eine neue zu bauen. 

Doch der Schuldner mit dem markanten Indie-Rocker-Scheitel sucht eher halbherzig nach Lösungen für sein Geldproblem. Als lähmte ihn die Außenwelt mit all ihren Absurditäten. Turebayev schildert den kasachischen Winter in der Tat als ein metaphorisches Ambiente, das die Herzen und Hirne der Menschen einfriert: um dann allerdings auch wieder überraschende Situationen voller emotionaler Gier und zarten Zutrauens zuzulassen. Ersteres gilt zum Beispiel für die lüsterne Arbeitsvermittlerin, die dem wesentlich jüngeren Pleitegeier gegen eine schnelle Nummer einen Job als Fahrer verschafft. Letzteres gilt für die mädchenhafte Kiosk-Verkäuferin, der er einzig im Vollrausch höfliche Avancen zu machen in der Lage ist. 

Als seine Dienstfahrt in einem Desaster endet und er nur einen Bruchteil seines Lohnes erhält, beschließt er, das bisschen Geld zu versaufen. Derweil zeigt sich der Niedergang dieses Einzelgängers am deutlichsten an seiner Zahnpflege. Genügt am Anfang ein einfaches Drücken, muss kurz vor Ablauf des Ultimatums schon die Zange her, um die letzten Reste aus der Zahnpastatube zu holen. Bloß keine unnötigen Ausgaben!

Die Hoffnung auf seine Mitmenschen hat der stoische Schuldner mit der bestechenden Wirkung auf das andere Geschlecht, die ihm jedoch nichts zu geben scheint, längst fahren lassen: Von seiner weit entfernt lebenden Mutter hört er nur den Anrufbeantworter und der beste Freund will nach seinem Techtelmechtel mit seiner Frau auch nichts mehr von ihm wissen. So lässt er die Dinge treiben und wartet auf bessere, eben sonnigere Tage. Diese besingt er inbrünstig zur Gitarre, wenn er sich in seiner stockdunklen Wohnung auf dem Bett herumlümmelt und den Schnee verflucht. Jedoch hat jede Hoffnung ihre Grenzen. Der Abwärtsstrudel wird immer stärker. 

Trotz dieser Einbahnstraße ist „Sunny Days“ weder depressiv noch langweilig. Die strenge und karge Ästhetik mit der nahezu unbeweglichen Kamera legt den Blick frei auf die Menschen, die sich in den Mühen der Gegenwart zwischen Leuchtreklame, Geländewagen und düsteren Wohnblocks abmühen und von einem besseren Morgen träumen: wie zum Beispiel die Wirtin in des Schuldners Stammkneipe, die endlich ihre Green Card erhält und in die USA loszieht. Gleichwohl setzt der Film optische Nuancen, die wenig mit postsozialistischer Tristesse zu tun haben. 

Vor allem der sich unbedarft gebende Schuldner gewinnt seinem Dasein immer wieder komische Seiten ab, als wolle er das Absurde nicht nur seines Lebenswandels, sondern auch all dessen, was ihn umgibt, unterstreichen. Zum Beispiel, wenn er sturztrunken im Dunkeln durch die Gegend zieht, vor den großen Fenstern eines Tanzstudios Halt macht und im Schnee einfach mittanzt. Während dieser schrägen und selbstironischen Einbrüche in die erdrückende Langsamkeit Momenten ist Turebayevs Film zweifellos am zugänglichsten: Spätestens dann zeigt sich, dass dieser trotz der überwiegend strengen Form keine Sozialstudie sein will, sondern einen spielerischen Zugang zur Ziellosigkeit eines gesellschaftlichen Milieus sucht. Auch wenn darin keine direkte Systemkritik zu sehen ist: Dieser offenherzige Blick auf gelebte Apathie, die sich zumindest als Reflex auf autoritäre Strukturen verstehen lässt, beeindruckt.

Info: Sunny Days (Solnetchniye dni, Kasachstan 2011), ein Film von Nariman Turebayev, mit Inkar Abdrash, Asel Kaliyeva, Yuri Radin, Erlan Utepbergenov u. a., 101 Minuten, OmU. Ab sofort im Kino

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